Der Weltensammler: Roman (German Edition)
manchmal überlegt und manchmal mit unbeherrschter Abneigung. Ich weiß nicht, ob Sie in diesen Urteilen Ihren Freund wiedererkennen würden. Er schreibt an einer Stelle, der Tag werde kommen, an dem die politische Notwendigkeit die Briten zwingen werde, die Quelle des Islam mit Gewalt zu besetzen. Uns interessiert insbesondere eine seiner Ansichten, die er in dem Kapitel über Medina vorbringt. Eine erstaunliche Ansicht, ich werde sie Ihnen vorlesen: ›Es bedarf keiner prophetischen Gabe, um den Tag vorherzusehen, an dem die Wahhabi in einem Massenaufstand das Land von seinen schwachen Eroberern befreien werden.‹ So schreibt Ihr Sheikh Abdullah. Teilen Sie mein Entsetzen darüber? Können Sie uns erklären, wie er zu dieser Schlußfolgerung gelangt ist, in den Tagen, in denen er Ihre Gastfreundschaft genossen hat?
HAMID: Ich weiß es nicht. Ich habe diese Meinung nie geäußert, und bestimmt auch keiner aus meiner Familie.
SHARIF: Was hat er denn in Medina getan?
HAMID: Was jeder Pilger zu tun hat. Alle Gebete verrichtet in der Moschee des Propheten, möge Gott ihm Frieden und Segen schenken. Die heiligen Orte aufgesucht, die Moschee von Kuba, den Friedhof von Al-Bakia, das Grab des Märtyrers Hamzah.
GOUVERNEUR: Mit wem haben Sie ihn in Verbindung gebracht?
HAMID: Mit niemand Bestimmtem. Ich bin ein angesehener Mann, es kennen mich viele in Medina, viele suchen mich auf, wenn ich von einer langen Reise zurückkehre.
GOUVERNEUR: Hatte er Gelegenheit, mit allen zu reden?
HAMID: Er war mein Gast, er saß im Empfangszimmer, er war ein einnehmender, ein schöner Mann.
GOUVERNEUR: Worüber wurde gesprochen?
HAMID: Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, es ist langeher, war der Krieg gerade ausgebrochen. Wir waren uns alle einig, daß unsere Armee die Moskowiter rasch besiegen würde. Es gab sogar Stimmen, die vorschlugen, danach gleich gegen alle Götzenanbeter vorzugehen, gegen die Engländer, die Franzosen und die Griechen.
GOUVERNEUR: Und Burton?
HAMID: Sie meinen Sheikh Abdullah?
GOUVERNEUR: Ein und derselbe.
HAMID: Ich kenne keinen Burton.
GOUVERNEUR: Dann Sheikh Abdullah, wenn Sie es so wollen!
HAMID: Er sprach vernünftig wie kein zweiter. Er sagte, daß es niemand mit unserem Glauben aufnehmen könne, aber leider hätten die Farandjah starke Waffen entwickelt, als Entschädigung für ihren schwachen Glauben, und wenn wir das Schlachtfeld siegreich verlassen wollten, müßten wir soviel wie nur möglich über diese Waffen lernen, in ihren Besitz gelangen und sie eines Tages selber herstellen. Dann – im Glauben stark und bestens ausgerüstet – wären wir unschlagbar.
KADI: Glauben Sie, Gott steht auf der Seite der besseren Waffe?
HAMID: Sie wissen besser als ich, auf wessen Seite Gott steht.
SHARIF: Auf der Seite aller Rechtschaffenen, natürlich, und wir bemühen uns, nicht wahr, wir bemühen uns. Aber sagen Sie mir, an den Tagen, die er in Ihrem Haus verbracht hat, war er öfter alleine. Ist er ausgegangen, ohne daß Sie wußten, wohin?
HAMID: Nie. Mit Sicherheit nicht. Mohammed, der Junge aus Mekka, er war immer an seiner Seite, ich habe auch ihn untergebracht, obwohl ich das Gefühl hatte, Sheikh Abdullah wäre ihn gerne losgeworden.
GOUVERNEUR: Wieso?
HAMID: Er nahm Anstoß an den schlechten Sitten dieses Kerls.
KADI: Schlechte Sitten?
HAMID: Sie wären erstaunt, was er sich alles leistete. Er war vorlaut und unbekümmert. Er vernachlässigte die Zeremonien, er erlaubte sich, ohne seine Jubbah die Moschee des Propheten zu betreten, und bei einem der Gebete hat er mich von der Seite angestoßen. Ich habe ihn natürlich ignoriert.
SHARIF: Etwas übermütig, wie er immer noch ist, es entspricht seinem Alter.
HAMID: Er bildete sich viel darauf ein, aus Mekka zu stammen.
SHARIF: Das wollen wir ihm nicht verdenken. Aber sagen Sie, was ist mit den Darlehen geschehen, die dieser Sheikh Ihnen allen so bereitwillig gewährt hat.
HAMID: Seine Großzügigkeit, davon spreche ich, seine einzigartige Großzügigkeit. Beim Abschied, der uns Messer in die Brust trieb, erklärte er, daß er uns allen die Schulden erlasse, um unsere Freundschaft noch einmal zu ehren und damit wir im Guten an ihn denken.
GOUVERNEUR: Eine Frage haben Sie mir immer noch nicht beantwortet. Wie kam Sheikh Abdullah auf die Idee, daß die Wahhabi unserer Herrschaft über den Hijaz bald ein Ende setzen werden? Das muß doch auf irgendwelche Beobachtungen oder Gespräche gründen.
HAMID: Sooft Sie Ihre Frage auch
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