Der Weltensammler: Roman (German Edition)
getan wie seine Schwäche, seine Abhängigkeit. Ihr hättet den Widerwillen auf seinem Gesicht sehen sollen, als er getragen werden mußte von acht der stärksten Träger, weil er sich nicht auf dem Esel festhalten konnte. Und Bwana Speke, er konnte fast nichts sehen, er versuchte dieses Leiden zu verbergen, aber wie hätte er uns täuschen sollen, wenn er auf nichts mehr schoß, sein Gewehr nicht einmal auspackte. In der Früh, da brauchte er mich, wenn seine Augen klebrig verquollen waren, als seien sie mit Harz eingeschmiert, ich mußte sie mit Wasser ausspülen, ich mußte ihm seine Stiefel anziehen, und er war gereizt dabei, er war unwirsch. Die beiden Wazungu, sie waren uns ausgeliefert in diesen Tagen, und nicht nur einmal dachte ich, was für ein Glück sie hatten, in unsere Hände geraten zu sein.
– Baba Sidi, verzeih mir, es wird spät, und ich habe meinen Enkeln versprochen, ihnen heute abend eine Geschichte zu erzählen, vielleicht werde ich eine deiner Geschichten erzählen, ich muß gleich weg, aber ich möchte euch nicht verlassen, ohne gehört zu haben, es ist mir eine so schöne Erinnerung, wie du den See erreichst …
– Ja, den ersten großen See.
– Gut, Baba Yusuf, ich werde den Sumpf des Malagarasi überspringen, ich werde bei dem letzten Anstieg halten, bei dem Bwana Spekes Maulesel starb, er legte sich hin, als seien seine Kräfte mit einem letzten Schnaufen endgültig verbraucht. Bwana Speke war verwirrt, er lag auf dem Boden, seitwärts, seine Hände krallten sich in die Erde, er sagte nichts, ich dachte, er wollte nicht auf sich aufmerksam machen, auf seine unwürdige Lage, ich hob ihn hoch, ich mußte ihn stützen, gemeinsam erklommen wir den steilen Hügel, den letzten, wie ich heute weiß, aber damals schien er nur eine weitere Prüfung unter vielen zu sein. Er hielt sich mit einem schmerzhaften Griff an meinem Ellenbogen fest, und er flehte mich an, ihm alles zu beschreiben, was ich sehen konnte, die einzelnen dornigen Büsche, die aufgeschäumten Wolken, Steine wie Kürbisse, es gab nicht viel, was ich hätte beschreiben können, aber er war gierig und ungeduldig, kaum schöpfte ich etwas Schweigen, drängte er mich schon, weiter zu beschreiben, und ich mußte ihm schwören, ihm keineeinzige Veränderung der Landschaft vorzuenthalten. Wir erreichten den Gipfel, wir holten Atem, ich sah etwas Ungewöhnliches, etwas, das mich erregte, eine metallische Fläche schimmerte in der Sonne. Bwana Speke erahnte auch etwas, er sah wenig, aber Licht und Dunkel drangen irgendwie durch seine verquollenen Augen, und er fragte mich erregt: Dieser Lichtstreifen, Sidi, siehst du auch diesen Lichtstreifen? Was ist das? Und ich nahm mir Zeit mit meiner Antwort, ich kostete die Freude aus. Ich denke, Bwana, sagte ich bedächtig, ich denke, das ist das Wasser. Und als ich das sagte, merkte ich, wie um mich herum gejubelt wurde, ich sah, wie Said bin Salim ekstatisch auf Bwana Burton einredete, der auf den Schultern des kräftigsten Trägers saß und seinen Kopf in die Ferne streckte, und der Jemadar Mallik grinste wie ein Spieler, der gerade seinen gesamten Einsatz verdoppelt hat, und die Belutschen beglückwünschten sich und die anderen mit tiefen, feierlichen Verbeugungen. Und Bwana Speke, er spürte die Euphorie, und er ließ sich von ihr anstecken, aber er mußte doch auch ein wenig klagen, klagen über den Nebel vor seinen Augen. Bald konnten wir den See viel klarer erkennen, er lag unter uns wie ein riesiger blauer Fisch, er aalte sich in der Sonne. Wir waren verzaubert, wir vergaßen alle Mühen, alle Gefahren, die Ungewißheit der Rückkehr, oh ja, wir vergaßen alles, was schrecklich gewesen war, und zum ersten und letzten Mal, meine Brüder, nahmen wir alle an ein und demselben Glück teil.
Es ist der 13. Februar, ein historischer Tag für die Entdeckung der Welt, zum ersten Mal erblicken zivilisierte Augen einen See, der schöner nicht sein könnte, obwohl der Schein zuerst sprichwörtlich getrogen hatte, der See war ihnen als ein glitzernder Strich erschienen, ein leuchtender Hohn, ein armseliger Preis für ihre Mühen, eine erschlagende Enttäuschung, aber nur wenige Schritte später, als die Wasseroberfläche nicht mehr die Sonne reflektiert und ein weiterer Ausblick sich öffnet, erhalten sie einen ersten Eindruck von der wahren Größe des Sees, dessen Schimmern weit in die Ferne reicht. Dieses gesegnete Wasser – Euphorie bricht in ihm aus wie einlange
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