Der Weltensammler: Roman (German Edition)
jedem einheimischen Herz und jedem einheimischen Geist festgesetzt hat. Als Beispiel für die Herausforderungen, die uns noch bevorstehen, mag ein Fall aus dem oberen Sindh dienen, den ich dank einer glücklichen Fügung selber bezeugen kann. In Sukkur wurden fünf berüchtigte Räuber gefaßt, samt einem Teil der Beute, die sie ihren Opfern abgenommen hatten, bevor sie diese der Bequemlichkeit halber erdolchten. Die Beweise waren erdrückend, die Männer geständig. Sie wurden gehängt, und zur größeren Abschreckung am Galgen hängen gelassen, mit der strengen Order an die Wachen, auf gar keinen Fall zu erlauben, daß sich ihnen jemand nähert. Am nächsten Morgen kehrte der Offizier zurück, um zu überprüfen, ob seinem Befehl entsprochen worden war. (Ich begleitete ihn.) Zu unserer Verblüffung standen nur noch vier Galgen auf dem Hügel, dafür hingen, quasi zur Kompensation, von einem der verbleibenden Galgen zwei Leichen. Doch eine der beiden Leichen unterschied sich – in Kleidung sowie in einer weiteren, wenig appetitlichen Hinsicht – offenkundig von den anderen, den Leichen der Räuber. Die Wachen wurden sofort zur Rede gestellt. Sie gestanden, in der Nacht zuvor eingeschlafen zu sein und beim Aufwachen festgestellt zu haben, daß ihnen nicht nur einer der Galgen gestohlen worden war, sondern auch eine der Leichen. Bei dem verschwundenen Körper handelte es sich um den Leichnam des Anführers der Räuberbande, was zu verschiedenen Spekulationen Anlaß gab. Die Wachen hatten dann in ihrer Verwirrung, in ihrer Angst vor den Konsequenzen, den erstbesten Mann, der frühmorgens des Weges kam, ergriffen und ohne viel Federlesen aufgehängt. Der befehlshabende Offizier geriet in Rage, wie jeder normale Mensch, der sich mit etwas völlig Unbegreiflichem konfrontiert sieht. Seine Wut wurde weiter angestachelt durch das Verhalten der Wachen, die weder Scham noch Zweifel an den Tag legten. Der Offizier hielt ihnen eine lange Standpauke, mit bewundernswerter Inbrunst, wie ich bemerken muß, wenn auch mit geringem Erfolg, er beschwor sie, sie müßten ihre barbarische Mißachtung des menschlichen Lebens aufgeben, nun, da sie der höchsten Zivilisation auf Erden dienten. Nachdem er alsoMoral und Einsicht bemüht hatte, hielt er erschöpft inne, worauf sich einer der Wachhabenden zu Wort meldete. Leutnant, wir bitten um Verzeihung, aber wir haben im Gepäck dieses Reisenden etwas gefunden, das wir Ihnen zeigen möchten. Wir wurden zu einem Karren geführt, den wir bis dahin übersehen hatten, und einer der Wachen zog die Plane herunter. Vor uns lag ein verstümmelter Leichnam. Offensichtlich hatte der Reisende, den sie zufällig aufgeknüpft hatten, einen Meuchelmord begangen. Es fiel mir schwer, den Wachen die Schadenfreude zu verübeln, als sie verkündeten: Sagen Sie uns jetzt, wer ist der höchste Richter. Gott in seiner Allmacht und Unfehlbarkeit oder einer dieser schwitzenden Richter aus Ihrem Land, dem alle Einzelheiten des Falles übersetzt werden müssen, von Leuten, denen die Wahrheit profitabel ist. Ich übertreibe nicht, wenn ich feststelle, daß dem Offizier in diesem Augenblick nicht nur jeglicher Wind aus den Segeln genommen wurde, sondern er in eine Verzweiflung von unermeßlicher Tiefe fiel. Er schwor, diesen Kerlen nie wieder etwas beibringen zu wollen, und ich fürchte, er wird diesen Schwur einhalten. Ich überließ ihn seinen eigenen grimmigen Gedanken, denn ich wußte nicht, worin ich ihn bestärken sollte.
53.
NAUKARAM
II Aum Uddandaaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
– Einmal nahm er mich mit. Nach Sehwan. Er war nicht in Verkleidung. Im Gegenteil. Ziel seines Besuches war es, herauszufinden, wie die Beschnittenen reagieren würden auf einen Offizier der Angrezi, der eines ihrer Heiligtümer aufsucht. Burton Saheb war der festen Überzeugung, die Gefahren, die beschworen wurden, seien in Wirklichkeit gering. Er war der Ansicht, du siehst daran, wie dieSympathie den Verstand ausschalten kann, die Beschnittenen seien zu Unrecht als aggressiv und unduldsam angesehen.
– Du nimmst das Ende schon vorweg?
– Ich will nur verhindern, daß du auf dumme Gedanken kommst. In Sehwan war das Grab des roten Falken. So heißt einer ihrer Derwische. Auf der Stätte eines Shiva-Tempels. Soviel Unverschämtheit sollte bestraft werden. Eines Tages müssen wir freilegen, was ursprünglich war. Dieser Heilige war ein Fremder. Er kam von irgendwoher, er hat
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