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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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der Welt wie ein Reisender. Mirza Abdullah war dieser fremde Reisende. Er wußte inzwischen genau, wie er sich einschmeicheln konnte, welche Art Humor in welcher Dosis anregend wirkte. Er war schon von vielen aufgenommen worden, dieser noble Reisende, der die Kunst der Unterhaltung beherrschte. In dem ehrwürdigen Mirza Aziz, der sich ganz selbstverständlich mit ihm verbrüdert hatte, fand er den bestmöglichen Informanten. Verwandtschaftlich mit mehreren der wichtigsten Familien verbandelt, handelte er mit allem, auch mit Wissen. Burton bewunderte ihn. Und er wußte, er würde ihn eines Tages verraten müssen. Denn Mirza Aziz betrieb ein Wechselspiel, das den britischen Interessen schadete. Er war stets hervorragend informiert – Burton mußte noch herausfinden, woher – über die Pläne der Briten, und er verkaufte sie weiter, an die Rebellen in Belutschistan. All das war bislang reine Vermutung, konstruiert aus Andeutungen, die sich häuften. Er mußte ausharren, als sein umgarnter Gast, bis sein Verdacht sichverfestigt hatte – der General hielt nichts von Indizien. Ihm war nicht wohl dabei. Mirza Aziz war nicht nur ein Verschwörer, sondern auch ein Patrizier, der die schönsten Musikabende der Stadt abhielt. Burton zog an der Wasserpfeife und schloß seine Augen, um sich dem Gesang zu überlassen. Es würde lange dauern, bis er wirklich Bescheid wußte. Eine Strophe hakte sich in ihm fest. Man erschafft nicht die Sonne, wenn man den Vorhang zurückzieht. Die weibliche Stimme sang mit brüchiger Selbstgewißheit. Man erschafft nicht die Sonne, wenn man den Vorhang öffnet. Als Mirza Abdullah, der Bazzaz aus Bushire, fühlte sich Richard Burton dem Glück näher denn als Offizier der Ehrenwerten Ostindischen Gesellschaft.
     
     
     
    55.
    NAUKARAM
     
    II Aum Yashaskaraaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
    – Die Miya, sie behaupten, dieser Mohammed habe ihnen das göttliche Gesetz gegeben, aber man darf sie nicht fragen, wieso es so lückenhaft ist, das göttliche Gesetz. So lückenhaft, daß sie es ausfüllen müssen mit dem Brauchtum des Landes. Hör zu, jetzt wird es gepfeffert, denn dieses Brauchtum, es ist oft widerlich, es steht oft im Widerspruch zum göttlichen Gesetz.
    – Wie sollte es anders sein, es ist ja ein menschliches Gesetz.
    – Der schlechteste Zwirn wird benutzt, um den geweihten Stoff auszubessern. Wie soll das angehen?
    – Was ich nicht verstehe, wenn alles an den Miya so unsinnig ist, wie erklären Sie sich, daß Burton Saheb, von dem Sie oft behauptet haben, er sei ein Mann des Wissens und der Bildung, sich zu diesem Glauben so hingezogen fühlte? Oder war alles, was er lernte, was er tat, nur von der Absicht getrieben, zu spionieren?
    – Nein. Er hatte wirkliches Interesse, wirkliche Neigung. Es ist mir rätselhaft. Seine Lehrer, sie waren nicht annähernd so beeindruckend wie Upanitsche Saheb in Baroda. Er betete sogar mit den Miya, kannst du dir so etwas vorstellen? Der stolze Burton Saheb verneigte sich, wischte mit seinen Knien, mit seiner Stirn, den Boden. Es gibt keine Erklärung. Vielleicht, weil es ihm so leichtfiel. Wie kein anderer Mensch war er in der Lage, sich ohne Mühe in die Welt jedes anderen hineinzubegeben. Er konnte sich die Umgangsformen und die Werte der Menschen aneignen, die ihm gegenüberstanden. Ohne sich anzustrengen. Manchmal, ohne sich bewußt dafür zu entscheiden.
    – Hatte er keine eigenen Werte? Keine Gesetze, von denen er überzeugt war?
    – Er stand innerhalb seiner eigenen Gesetze. Doch – er erwartete völlige Treue. Er war erzürnt darüber, daß die Angrezi die Menschen, die auf ihrer Seite gekämpft hatten, alleine ließen, wenn sie sich zurückzogen. Wir haben uns den Ruf verdient, schimpfte er, einen Mann auszunutzen, wenn wir ihn brauchen, und ihn fallenzulassen, wenn er seine Nützlichkeit verloren hat. Wenn man einmal eine Allianz geschlossen hat, muß man zu ihr stehen, tobte er. Wir können nicht unsere Verbündete dem Schicksal überlassen, dem Exil, der Armut oder gar der Qual und dem Tod.
    – Er hat die Widersprüche erkannt, mit denen wir alle leben, und er hat sie benannt.
    – Alles war möglich, wenn er etwas tat.
    – Er war wie das Wetter während des Monsuns.
    – Überraschend. Oftmals völlig überraschend. Manchmal tat er genau das Gegenteil von dem, was er gepredigt hat. Er mokierte sich über das, was er zuvor für heilig erklärt hatte.
    – Können Sie mir ein Beispiel geben.
    –

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