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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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näher kam, waren eindeutig die Shivlinga zu erkennen, zinnoberrot bestreut, genau wie bei uns. Und die Wasserbecken hatten die Form von Yonni. Daß die Gebeine dieser Beschnittenen inmitten von Shivlinga und Yonni liegen, das hat mich getröstet. Ich habe Schadenfreude empfunden.
    – Wenn die Miya so schlimm sind, wie Sie behaupten, wieso haben sie die Shivlinga und Yonni nicht zerstört? Wer läßt so etwas schon gerne auf seinem Friedhof liegen?
    – Was weiß ich. Die haben eine Million Gräber auf diesen Hügeln angelegt, und wir sollen uns darüber freuen, daß sie einige Shivas übriggelassen haben.
    – Diese Heiligen, was waren das für Menschen, wie haben sie gewirkt, womit haben sie diese Verehrung verdient?
    Naukaram rollte eine weitere Beschreibung aus, routiniert wie ein Stoffhändler, der das Muster in- und auswendig kennt und sich keiner Illusion hingibt, den Kunden sofort ködern zu können. In seiner Erzählung schwang etwas mit, das die Schöpferkraft des Lahiya anregte. Bis zum späten Nachmittag war die Anregung zu einer Idee ausgewachsen. Er zog sich nicht einmal um, seine Frau war glücklicherweise nicht zu Hause, er legte sich gleich ein frisches Blatt zurechtund tupfte seine Feder in die Tinte. Das Wunder, schrieb er, auf einem neuen Blatt, beginnt mit einer Gefahr, mit der Überwindung einer Gefahr. Mit einer unverstandenen Segnung. Einer einseitig verstandenen Segnung. Fischersleute auf einem Boot, die in einen Sturm geraten. Den Gewalten ausgeliefert, besinnen sie sich auf das Gebet. Zu wem beten sie, wen flehen sie um Hilfe an? Den heiligen Mann ihres Dorfes, den einzigen ihnen vertrauten Menschen, der von diesen Gewalten nicht eingeschüchtert ist. Sie werfen dem Sturm seinen Namen zu. Wie eine Empfehlung. Wie eine Losung. Sie werden gerettet. Der Sturm zieht sich zurück. Sie sind am Leben, dem heiligen Mann sei Dank. Wie sollten sie vermuten, Gott habe sich ihrer erbarmt, da sie Seiner so selten gedenken. Sie kehren in ihr Dorf zurück. Was haben sie zu erzählen? Von einem Sturm, der nicht zu ihrem Untergang führte. Von einem Wunder. Die Wellen warfen das kleine Boot umher, der Wind zerfetzte die Segel, sie wären verloren gewesen, hätten sie nicht den Namen des heiligen Mannes ausgerufen. Und sie schwören, seine Gestalt erschien vor ihnen, seine Stimme sprach ihnen Mut zu, seine Gegenwart linderte ihre Angst, besänftigte die Wut des Sturmes. Sie glauben an seine Erscheinung. Welche andere Erklärung könnte es geben für das Wunder ihres Überlebens. Und der heilige Mann? Wie reagiert er, wenn er von der Kraft hört, die ihm nachgesagt wird? Senkt er die Augen und lächelt entrückt? Läßt er seinen Schüler sagen, er habe die panischen Rufe der Fischer gehört und seinen Geist nach ihnen ausgestreckt? Werden die Fischer sich nicht dankbar erweisen? Auch mit Gaben. Werden sie nicht beim nächsten Auslaufen vorbeugend den heiligen Mann beschwören? Werden es ihnen Fischer anderer Dörfer nicht nachmachen, mit der Zeit? Wenn sie hören, daß die Fischer stets heil zurückkehren und mit gutem Fang. Der heilige Mann hat sich als Wundertäter bewährt. Habt ihr nicht gehört, das Boot ist gesunken, die Fischer waren verloren, doch der Heilige hat sie aus den Tiefen hochgeholt mit der kräftigen Hand seines Geistes. Habt ihr nicht gehört, er hat die Delphine ausgesandt, auf deren Rücken die Geretteten ans Land getragen wurden? Wer könnte solchen Wundern widersprechen? Was für einen Grund könnte es geben, diesen Wundern zu widersprechen?
    Der Lahiya lehnte sich zurück. Er ruhte sich aus, eine kurze Weile, dann las er das Geschriebene noch einmal durch. Nützlich, dachte er, er wird es seinen Geistesbrüdern von der Satya Shodak Samaj zeigen. Sie werden es zu schätzen wissen. Es gab viele Schriften über Wunder und wenige über die Entstehung von Wundern. Dabei war diese wundersamer als die Wunder selbst.
     
     
     
    50.
    MIT GROSSEN OHREN
     
    Diese Läden, sie sind unübersichtlich, zuerst, eine Ansammlung von Kleinigkeiten. Sie hängen herab, die hölzernen Löffel und die blechernen Töpfe, sie versperren einem den Blick, sie bedecken die Theke, die Streichhölzer und die Seifen, sie werden hin und her geschoben, wenn der Verkäufer einen Stift sucht, um zu addieren, was sich im Kopf nicht zusammenrechnen läßt. Sie stehen einem im Weg, die prallen Säcke voller Reis und Linsen und Kichererbsen, und die Körbe mit Gewürzen, und irgendwo dazwischen, wo man keinen Platz

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