Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
Chromgriff. Beim Öffnen zischte es. Sie hielt die Tür weit auf, damit ich den Inhalt sehen konnte. Plastikbeutel mit Blut, alle säuberlich aufgestapelt und etikettiert. »Wir rennen nicht durch die Gegend und beißen Jungfrauen in den Hals, Jamie. Jedenfalls nicht mehr. Das ist nicht nötig. Wir brauchen nicht das Blut – nur einen Bruchteil der Proteine, die darin enthalten sind. Wir beziehen das Zeug in großen Mengen über unsere eigenen Firmen für Medizinzubehör und extrahieren die Proteine hier.«
»Wir?«, fragte ich.
»Ein Freund von mir half mir bei der Einrichtung dieses Labors. Er heißt Neil Hamshire. In jüngster Zeit macht er in der Wissenschaft viel von sich reden. Er hat entdeckt, welche Proteine uns fehlen, und ein Extraktionsverfahren entwickelt, und zwar mittels Venülen, die Kieselgelpolymere enthalten.«
»Wo ist er?«, fragte ich. Ich hielt ihr mein leeres Glas hin.
»Das wüsste ich auch gern«, sagte sie. »Vor etwa sechs Monaten ist er verschwunden. Ich glaube, die Regierung hält ihn fest. Sie ist uns seit mindestens zehn Jahren auf der Spur. Vermutlich länger.«
»Das verstehe ich nicht. Warum sollte die Regierung hinter euch her sein?«
»Denk mal darüber nach, Jamie. Wir bedeuten eine Bedrohungfür sie. Nicht weil wir ihnen Böses wollen, sondern weil wir so sind, wie wir sind. Wir entziehen uns ihrer Kontrolle, finanziell und rechtlich. Wir sind in der Lage, jegliches Wissen anzusammeln, das wir benötigen; wir haben die Fähigkeit, uns alle Fertigkeiten anzueignen, die wir brauchen, indem wir uns über eine lange Zeit mit ihnen befassen. Neil hat über fünfzig Jahre in verschiedenen Laboratorien rund um den Erdball verbracht. Sollte er je etwas von seinen Entdeckungen veröffentlichen, würde er ein Dutzend Nobelpreise einheimsen. Es gibt keine Geheim nisse auf der Welt, die wir nicht irgendwann entschlüsseln. Wir müssen nur dranbleiben, dann bekommen wir am Ende, was wir wollen, weil wir alle überdauern.«
»Solange ihr unentdeckt bleibt?«
»Genau. Wir sind ständig auf Wanderschaft und müssen immer wieder neue Identitäten annehmen, was immer komplizierter wird, weil immer mehr Unterlagen mittels Computern gespeichert und abgeglichen werden. Im Lauf der Jahre haben sie mehrere von meinen Freunden gefangen.«
»Freunde?«
»Leute wie mich. Und je mehr sie über uns herausfinden, desto leichter können sie uns aufspüren. Es ist zum Beispiel nur eine Frage der Zeit, bis sie dahinterkommen, dass wir Blut kaufen. Und ich glaube, sie versuchen bereits, uns über unsere Bankkonten ausfindig zu machen. Es ist nicht mehr so leicht wie früher, Geld zu verstecken. Früher konnte man tausend Dollar auf ein Konto einzahlen, sie um die fünfzig Jahre zu Zinseszins liegen lassen und dann abheben. Jetzt geht das nicht mehr. Ein Transfer von Vermögenswerten und Besitz ist ebenso schwierig wie ein Identitätswechsel. Seit dem elften Septemberzweitausendeins hat sich alles verändert. Jetzt überwacht der Heimatschutz jede finanzielle Transaktion über zehntausend Dollar, und sie haben ein Auge auf die Antragsformulare für Pässe und Führerscheine. Es ist nicht mehr so leicht wie früher, neue Identitäten anzunehmen.«
Ich dachte an die Millionen, die sie auf der Bank in der Innenstadt hatte, und überlegte, wie viel sie wohl sonst noch weltweit hortete. Reserven.
»Wer in der Regierung versucht denn, euch zu fangen? Ist es das FBI? Die CIA? Der Heimatschutz?«
»Schlimmer. Viel schlimmer. Nicht einmal den Einschränkungen, mit denen die CIA kontrolliert wird, sind sie unterworfen. Es ist wie eine Hexenjagd. Nein, nicht
wie
eine Hexenjagd. Es
ist
eine Hexenjagd, genau das! Wenn es nach ihnen ginge, würden sie uns alle auf dem Scheiterhaufen verbrennen.«
»Und du glaubst, sie haben diesen Freund von dir, diesen Neil … wie heißt er noch mit Nachnamen?«
»Hamshire. Ohne p. Neil Hamshire. Ja, er war eines Abends auf dem Weg zum Labor hier und er ist einfach verschwunden. Bestimmt nicht aus freien Stücken, denn er war mitten in einem Experiment, an dem er über ein Jahr lang gearbeitet hat.«
»Was war das?«
»Genetik. Er suchte nach einer Methode, den Fehler in unseren Genen zu finden, damit wir die Proteine nicht zu uns nehmen müssen. Und er wollte etwas gegen unser Problem mit dem Sonnenlicht tun. Und ein paar andere Dinge mehr. Er hätte das nicht einfach so aufgegeben, da bin ich mir ganz sicher.«
Sie stellte das leere Glas am Waschbecken ab und kam zu mir,
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