Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
den Staaten bin ich seit den Zwanzigerjahren.«
»Und wie viele Identitäten hast du benutzt?« Die Fragen folgten immer noch keiner Logik, und mir war klar, dass ich sie nur stellte, um zu reden, während ich versuchte, mit der Grundvoraussetzung klarzukommen, mit der sie mich konfrontiert hatte – nämlich, dass Terry Ferriman unsterblich war. Ihr Fragen zu stellen, so banal sie auch sein mochten, half mir zumindest, mich zu überzeugen, dass sie die Wahrheit sagte. Doch immer noch lauerte die Frage unbehaglich in meinem Hinterkopf, was zum Teufel sie mit mir zu tun gedachte. Würde ich so enden wie Matt Blumenthal, flach auf dem Rücken liegend, irgendwo in einer Gasse, ausgeblutet?
Sie lachte und rüttelte mich an den Schultern. »Jamie, um Gottes willen, woher soll ich das denn wissen? Erst seit den letzten paar Jahrhunderten musste ich Unterlagen aufheben, und du hast gesehen, wie viel Platz sie in den Aktenschränken einnehmen. Hunderte, Tausende vielleicht. Früher, in den ganz alten Zeiten, musste ich nur in ein anderes Land oder auch nur in eine andere Stadt und meinen Namen ändern. DieseSache mit dem Identitätswechsel und Anträge für Pässe stellen und Führerscheine und Sozialversicherungsnummern und Bankkontonummern ist ziemlich neu.«
»Warst du denn nie krank?«
»Nicht einmal zur Zeit der Pest. Nie. Aber du hast gesehen, wie allergisch ich auf Sonnenlicht reagiere. Das geht uns allen so. Und wir haben noch eine Schwäche, wie du es vielleicht nennen würdest.«
»Eine Schwäche?«
»Wir glauben, es hat etwas mit dem Gen zu tun, das uns unsterblich macht. Uns fehlen die Enzyme in ein paar wichtigen biochemischen Reaktionswegen, daher müssen wir von Zeit zu Zeit bestimmte Proteine aufnehmen, die uns fehlen.«
Die Erkenntnis brach über mich herein wie ein tropischer Wolkenbruch. »Blut«, sagte ich. »Du brauchst Blut. Menschenblut.«
»Nicht unbedingt Blut, aber das ist ungefähr die effizienteste Art, es aufzunehmen, ja.«
Ich stand auf und spürte, wie meine Knie leicht nachgaben. Ich wusste nicht, ob es Angst war oder der Brandy, aber ich presste die Beine zusammen und rang um mein inneres Gleichgewicht. »Und du sagst, ihr seid keine Vampire? Wie nennt ihr das denn sonst? Du lebst ewig und trinkst Menschenblut. O Gott, ich glaub es einfach nicht, echt nicht …«
Ich muss wohl ohnmächtig geworden sein, denn als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Rücken auf einer schwarzen Ledercouch und blickte an eine weiß geflieste Decke. Ich hob den Kopf und sah, dass ich in einer Art Labor war, grau gesprenkeltes Linoleum und viele weiße Resopal-Arbeitsplatten,und ich erkannte manche von den Geräten – eine Zentrifuge, irgendwas, das wie ein Szintillationszähler aussah, und eine digitale Waage. Viel von dem Zeug, das herumstand, erkannte ich allerdings nicht. Als ich die Arme hob, erwartete ich halb, auf Widerstand zu treffen, aber es gab keine dicken Lederriemen, die mich festgehalten hätten. Terry stand an einem Waschbecken, und als ich mich aufsetzte, kam sie mit einem Glas Wasser zu mir.
»Tut mir leid, Jamie«, sagte sie. »Ich hätte dir wohl keinen Brandy geben sollen.«
»Obwohl das ein guter Jahrgang war«, sagte ich, nahm ihr das Wasser ab und trank es aus. Es war kalt und erfrischend und machte meinen Kopf etwas klarer.
»Obwohl es ein guter Jahrgang war«, wiederholte sie lächelnd. »Bist du okay?«
Ich lachte wehmütig, denn okay war in diesem Augenblick keine sehr treffende Beschreibung meines Geisteszustands. Umgehauen vielleicht. Möglicherweise überwältigt. Okay jedenfalls nicht. Definitiv nicht okay.
»Wie bin ich hierhergekommen?«, fragte ich und sah mich im Labor um. Ich konnte nicht feststellen, ob ich mich noch im selben Gebäude befand oder wie lange ich weg gewesen war. Ich sah auf meine Uhr. Halb drei morgens.
»Ich habe dich getragen«, sagte sie.
Sie hatte mich getragen. Einfach so. Ich wog bestimmt fast anderthalbmal so viel wie sie, und sie hatte mich getragen. Und wenn sie mich getragen hatte, dann hätte sie mit Leichtigkeit auch Matt Blumenthal tragen können, mit oder ohne die fünf Liter Blut, die in seinem Körper hätten sein sollen.
»Du hast nach dem Blut gefragt«, sagte sie, als ob sie meine Gedanken gelesen hätte.
»Was für Blut?«
»Du wolltest wissen, wie wir an die Proteine kommen, die wir brauchen und die unsere Körper nicht selbst produzieren können.« Sie ging zu einem riesigen Kühlschrank und zog an dem großen
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