Der Wettlauf zum Suedpol
beizubehaltenden Alltagsroutine der Marine entgegenzuwirken, was freilich nicht unbedingt dazu beitrug, die Stimmung aufzuhellen. Noch als das Schiff im Rossmeer kreuzte, hatte ein Matrose bitter bemerkt: »Dieses monotone Deckschrubben jeden Morgen in der Antarktis bei Temperaturen, die weit unter dem Gefrierpunkt liegen, ist geradezu schrecklich. Es scheint, als könnte man den Marinebefehl nicht vergessen (du darfst nicht unterlassen, die Decks zu schrubben, ganz gleich, welche Bedingungen herrschen).« Ebenfalls von der Navy übernommen wurde die strikte Trennung von Offizieren und Mannschaften. Um die Moral der Truppe zu heben, wurden auf der Discovery immerhin zahlreiche Ablenkungen organisiert. Die Männer beschäftigten sich mit Holzschnitzarbeiten und Gesellschaftsspielen, andere beteiligten sich an Diskussionsrunden, lasen in den Büchern der Bordbibliothek oder spielten Laientheater in der Landhütte und trugen bei Mondschein Fußballmatches auf dem Packeis aus.
Abb 28
Für den Sportsgeist der Briten war die Umgebung kein Hindernis: Wettrennen auf von Fridtjof Nansen empfohlenen, ungewohnten Skiern boten eine willkommene Abwechslung in der antarktischen Monotonie.
Als Ende August 1902 wieder die Sonne über den Horizont kletterte, starteten die Vorbereitungen für die Expeditionen in die weiße Ödnis erneut. Als erste größere Tour, so hatte es Scott im Winter entschieden, wollte er selbst mit zwei Gefährten in Richtung Süden aufbrechen. Als Begleiter bestimmte er Edgar Wilson und Ernest Shackleton – zwei Männer, die in den darauf folgenden Jahren auf durchaus unterschiedliche Weise in die Annalen der Antarktisforschung eingehen sollten. Was Scott mit dieser Reise erreichen wollte, darüber schwieg er sich gegenüber seiner Mannschaft aus. Wilson sprach in seinen Aufzeichnungen Klartext: »Unser Ziel ist es, auf dem Ross-Schelfeis in einer geraden Linie so weit nach Süden zu gelangen, wenn möglich den Pol selbst zu erreichen oder irgendein neues Land zu entdecken.« Der Südpol, jener imaginäre Punkt in der Eiswüste, hatte von Scotts Denken Besitz ergriffen. Doch schon bald sollte sich zeigen, dass er nicht in James-Bond-Manier zu bezwingen war.
Trotz seiner schlechten Meinung über die Hunde hatte sich Scott entschieden, es noch einmal mit den Tieren zu versuchen. Am 2. November brachen die drei Männer auf – mit 19 Hunden, die an ein einziges Zugseil vor fünf Schlitten gespannt waren. Wider Erwarten kam der Trupp zunächst gut voran und hatte die Vorhut, die drei Tage zuvor zu Fuß aufgebrochen war, um Vorräte für das Expeditionsteam anzulegen, schon nach wenigen Stunden eingeholt. Doch dann begannen die Schwierigkeiten, die bis zur Rückkehr nicht mehr aufhören sollten. Häufige Wetterwechsel machten den Männern zu schaffen, und als ungeübte Skiläufer kamen sie mit den verschiedenen Arten von Schnee nicht zurecht – sie rutschten auf eisigen Flächen weg oder klebten im Pappschnee regelrecht fest –, sodass sie die Bretter schließlich auf ihre Schlitten warfen und zu Fuß weiterstapften. An manchen Tagen zwangen sie Schneestürme dazu, untätig im Zelt auszuharren, was sie mit ihrem Schicksal hadern ließ.
Schlimmer noch erging es ihnen jedoch mit den Hunden. Die Tiere waren im Winter mit Zwieback gefüttert worden und erhielten jetzt Stockfisch, der monatelang im Laderaum der Discovery gelegen hatte und inzwischen verdorben war. Die Leistungsfähigkeit der Hunde nahm immer mehr ab, einige verendeten kläglich. Scott beschloss, die notwendigen Vorräte nunmehr in Staffeln weiterzutransportieren. Einen ganzen Monat lang wurden die Schlitten nur noch zur Hälfte beladen und ein Stück Wegs gefahren, dann kehrte man um und holte den Rest der Ladung – am
Ende hatten die Männer mehr als 300 Meilen zurückgelegt, um 100 Meilen voranzukommen.
Abb 29
Rivalen unter sich: Obwohl hoffnungslos zerstritten, posieren Ernest Shackleton (links) und Robert Falcon Scott (Mitte) gemeinsam mit Edward Wilson nach der Rückkehr von ihrer Südreise.
Es konnte nicht ausbleiben, dass sie sich angesichts der immensen Schwierigkeiten und der trüben Aussichten bald in die Haare gerieten. Vor allem zwischen Scott und Shackleton kam es immer wieder zu Differenzen, und Wilson musste regelmäßig zwischen den beiden Streithähnen schlichten. Nach anderthalb Monaten zeigte sich bei allen Anzeichen von Skorbut. Zudem hungerten sie entsetzlich, weil Scott unbedingt weiter nach Süden vordringen wollte
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