Der Wettlauf zum Suedpol
eine der Flaggen, die sie im Herbst als Wegmarkierung aufgestellt hatten. Die schlimmsten Gefahren der ersten Reisephase waren damit überstanden, und zwei Tage später trafen sie trotz nebligen Wetters sicher am Vorratslager auf 80 Grad ein. Es war der 24. Oktober.
Scotts Karawane bricht auf
An jenem Tag machte sich am McMurdo-Sund die erste Vorhut von Scotts Südpolkarawane auf den Weg. Es handelte sich um die beiden Motorschlitten, deren Vorschusslorbeeren inzwischen freilich längst verwelkt waren. Scott hatte die Mission unter Leitung seines Stellvertreters Teddy Evans gestellt – nicht, weil er dies für eine besonders verantwortungsvolle Position gehalten hätte, sondern weil er ihn aus dem Weg haben wollte. Quälend langsam setzten sich die zwei Vehikel in Bewegung und brauchten allein zwei Tage für die 28 Kilometer übers Meereis nach Hut Point, von wo aus sie weiter auf die Eisbarriere gelangen sollten. Diesen Moment wollte sich Scott nicht entgehen lassen, obwohl er sich sicherlich besser auf die letzten Vorbereitungen seiner eigenen Schlittenreise hätte konzentrieren sollen. Er stellte eine achtköpfige Gruppe zusammen, die zu Fuß nach Hut Point zog und die Motorschlitten schon bald eingeholt hatte.
Die Probleme mit den Maschinen waren vielfältig, selbst wenn einmal gerade nichts kaputt war. »Nachdem wir eine Dreiviertelmeile gefahren sind, ist es nötig, zumindest eine halbe Stunde zu halten, damit die Motoren sich abkühlen können. Dann müssen wir noch ein paar Minuten warten, bis sich der Treibstoff aufgewärmt hat, andernfalls nämlich kommt der Vergasungsprozess nicht zustande«, beschrieb William Lashly, einer der Fahrer, den steten Kampf zwischen den Extremen »zu heiß« und »zu kalt«. Vor den Augen seines Chefs wollte Lashly jedoch besonders glänzen und quälte sich mit der Maschine fünf Kilometer am Stück in Richtung Barriere vorwärts. Das führte jedoch nur dazu, dass er wieder liegen blieb und von seinem Fahrerkollegen Bernard Day überholt wurde, dem es schließlich ohne größere Schwierigkeiten gelang, den Abhang zu erklimmen. – »Der erste Automobilist auf der großen Eisbarriere!«, jubelte Scott. »»Wir alle schrien laut Hurra. Weiter sauste der Motor, und die nebenherlaufenden Männer wurden immer kleiner.«
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Voller Optimismus: Scotts Motorschlittenabteilung, bestehend aus William Lashly, Bernard Day, Steward Hooper und Scotts Stellvertreter Teddy Evans (von links).
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Bald ein gewohnter Anblick: Die Motorschlitten kamen nur noch mit Muskelkraft von der Stelle.
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Vor dem Aufbruch zum Pol: Aufstellung von Scotts Team zur Gruppenaufnahme vor der Hütte am Kap Evans.
Scott kehrte mit seinen Leuten zurück nach Kap Evans. Dort angekommen, musste er feststellen, dass er sich die Füße wundgelaufen hatte – vier Tage vor dem eigenen Aufbruch. Zwei Tage später nahm er sich dann einen ganzen Vormittag lang Zeit, mit Wilson, Crean und Edgar Evans in Schlittenkleidung für Filmaufnahmen des Fotografen und Kameramanns Herbert Ponting zu posieren. Außerdem schrieb er in diesen Tagen eine ganze Reihe von Abschiedsbriefen, die einen tiefen Blick in sein Seelenleben zuließen. In einem Brief an seine Frau Kathleen beschäftigte er sich auch mit seinem norwegischen Kontrahenten. »Ich weiß nicht, wie ich Amundsens Chancen einschätzen soll. Wenn er zum Pol gelangt, muss er vor uns da sein, da er mit Hunden schnell vorankommen und mit einiger Sicherheit
früh starten wird«, so Scott. Was für Amundsen die Motorschlitten waren, die ihm immer wieder in den Sinn kamen, wenn er an seinen Konkurrenten dachte, waren für Scott die Hunde, die ihn stets an Amundsen erinnerten. Er habe vor der Reise keinen Anlass zur Eile gesehen, sonst hätte er mehr Hunde mitgebracht als Amundsen, schrieb er an Sir Edgar Speyer, den Schatzmeister der Expedition, um dann jedoch sofort zu betonen: »Ich glaube nur bis zu einem gewissen Grad an Hundetransport.«
Inzwischen hatte er die Leistungen von richtig geführten Hunden mit eigenen Augen gesehen, doch das alte Dogma von Sir Clements Markham: »Keine Skier, keine Hunde«, war immer noch wirkungsmächtig. Freilich schien Scott zu ahnen, dass er im wahrsten Sinne des Wortes auf das falsche Pferd gesetzt hatte – allerdings konnte er jetzt nicht mehr zurück. Er wusste, dass er Amundsen mit seinen, Scotts, Mitteln nicht schlagen konnte. Die einzige Hoffnung, die ihm blieb, war, dass der Norweger aufgeben oder auf der
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