Der Wettlauf zum Suedpol
Strecke bleiben würde. »Deshalb habe ich zu einem sehr frühen Zeitpunkt beschlossen, mich so zu verhalten, als existierte er nicht«, schrieb er an seine Frau. »Jeder Versuch, mich auf das Wettrennen einzulassen, hätte meine Planung zerstört. Ganz abgesehen davon waren wir auch nicht zu einem Rennen ausgezogen.«
Dabei übersah er jedoch, dass Schnelligkeit bei einer solchen Reise kein Selbstzweck, sondern in der menschenfeindlichen Eiswüste der Antarktis geradezu überlebensnotwendig war. Jeder Tag, den das Unternehmen weniger dauerte, erhöhte die Chancen, heil und gesund nach Hause zurückzukehren – denn es bedeutete, nicht auf die unsicheren Ressourcen in den Depots angewiesen zu sein. Die 144 Tage, die Scott für seinen Marsch angesetzt hatte, erschienen in dieser Hinsicht gefährlich lang, zumal er damit schon im Normalfall bis Ende März unterwegs sein würde – ohne dass unvorhergesehene Zwischenfälle bereits einkalkuliert waren. Dieser Rückkehrtermin lag zudem bedrohlich weit im Polarherbst mit seinen unberechenbaren Witterungsbedingungen. Scott jedoch machte sich selbst Mut: »Die Zukunft liegt in den Händen der Götter«, trug er am Tag vor der Abreise in sein Tagebuch ein. »Meiner Meinung nach ist nichts unversucht geblieben, um den Erfolg zu verdienen.« Und seiner Frau versicherte er: »Ich stehe jetzt fest auf beiden Füßen; ich fühle mich körperlich und geistig gestärkt für die Aufgabe, und ich spüre, dass die anderen das wissen und volles Vertrauen zu mir haben.«
Wieder einmal sprachen die Aufzeichnungen seiner Untergebenen eine andere Sprache. Er nehme an, dass der Aufbruch ein »schöner Zirkus« werde, so Oates in einem Brief an seine Mutter – und er sollte recht behalten. Wegen der Hilfsaktion für die Motorschlitten waren zwei ganze Tage Vorbereitungszeit weggefallen. »Das war wirklich hart«, notierte Wilson, »denn wir brauchten die Zeit unbedingt zum Briefeschreiben und für die letzten Vorbereitungen. Alles Mögliche war bis zum letzten Moment aufgeschoben worden, und wir gerieten in Hetze, um rechtzeitig fertig zu werden.« Am Ende wurde der Termin noch einmal um einen Tag verschoben, doch am 1. November gegen 11 Uhr vormittags ging es schließlich los. Scott selbst war sichtlich nervös und spannte sein Pony zunächst vor den falschen Schlitten, ehe er seinen Irrtum bemerkte und mit dem richtigen Schlitten in Richtung Hut Point aufbrach.
Abb 140
Technisch auf Höhe der Zeit: Der Geologe George Simpson beim Telefonat mit Hut Point.
Wenige Stunden später bimmelte am Kap Evans das Telefon, dessen Leitung Multitalent Meares als erste antarktische Fernsprechverbindung zwischen dem Basislager und Hut Point verlegt hatte. Scott war am Apparat und erklärte, dass er in der Hektik die ihm von Königin Alexandra übergebene britische Flagge vergessen habe, und bat darum, sie ihm nachzusenden. Weil es schnell gehen musste, schickte man bezeichnenderweise Tryggve Gran mit seinen Skiern los. »Ironie des Schicksals, mein lieber Gran«, sagte Scott lächelnd, als dieser ihm das Tuch vor der alten Discovery -Hütte übergab: Ausgerechnet ein Norweger hatte den Union Jack die ersten Kilometer in Richtung Südpol getragen. Dann zog die Kavalkade los und bewegte sich langsam über das letzte Stück Meereis auf die Barriere zu. Kameramann Ponting war mit dem Hundeschlitten von Kap
Evans herübergekommen und hielt die Szene fest, wie die immer kleiner werdenden Gestalten mit ihren Pferden schließlich schemenhaft im weißen Nichts verschwanden. Es war der Aufbruch in ein ungewisses Schicksal.
Abb 102
Einem ungewissen Schicksal entgegen: Noch ziehen Scotts Ponys, geführt von ihren Treibern, willig ihre Schlitten.
Das erste Ziel der Gruppe war Corner Camp, von dem aus der Weg direkt nach Süden führte. Am ersten Tag auf der Eisbarriere kamen sie gut voran, und sie fanden immer wieder leere Benzinkanister, auf welche die Motorgruppe ermutigende Nachrichten gekritzelt hatte: »Wir sehen uns bei 80°30’!« – das war der vereinbarte Treffpunkt südlich des One Ton Depots. Doch schon einen Tag später mussten sie den ersten Tiefschlag hinnehmen. Noch vor Corner Camp, nicht einmal 25 Kilometer von Hut Point entfernt, hatte der erste Motorschlitten seinen Geist aufgegeben. Ein zweiter Zylinder von Days Motor war geplatzt, der einzige mitgenommene Ersatzzylinder allerdings bereits in Lashlys Schlitten eingebaut worden. Die Männer hatten zunächst erwogen, beide Motoren mit nur
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