Der Wettlauf zum Suedpol
550 Kilometer hinter Amundsen. Die vorangegangenen zwei Wochen seit dem Abmarsch vom Corner Camp waren zermürbend gewesen
und hatten die Nerven aller Beteiligten auf eine harte Probe gestellt. Scotts Ponykarawane war nur im Schneckentempo vorangekommen – manchmal lediglich elf oder zwölf Kilometer am Tag. »Die Oberfläche war schauderhaft, das Wetter schrecklich, der Schnee wollte nicht aufhören und bedeckte alles mit weichen, flaumigen Flocken, Zoll für Zoll, Meile für Meile«, seufzte Cherry-Garrard. Und auch Scotts Aufzeichnungen strotzten vor Klagen über die miserablen Begleitumstände des Trecks. »Das Wetter war entsetzlich, bedeckt, trübe, schneereich«, hieß es am 12. November, und einen Tag darauf: »3 Uhr nachmittags. Seit einigen Stunden hat es beharrlich geschneit, und der Schnee auf der weichen Oberfläche ist Zoll um Zoll gestiegen! Was kann solch ein Wetter zu bedeuten haben? Dieses Übermaß an Niederschlägen muss auf irgendeine außen liegende Quelle zurückgehen, wie etwa das offene Meer. Wenn das aber ein Ausnahmezustand ist, dann wird unser Los furchtbar sein!« Am 19. November notierte er: »Heute sind wir auf eine wirklich schlechte Oberfläche gestoßen; die Schlitten glitten leicht darüber hin, aber die Ponys sanken sehr tief ein.«
Damit hatte er sich dem Kern des Problems bereits sehr angenähert – die tief verschneite Eisbarriere war einfach kein Ort, um mit Pferden vorwärtszukommen. Immer wieder brachen die Tiere mit ihren Hufen durch die Schneekruste, oft 20 oder 30 Zentimeter tief, und mühten sich unsäglich damit ab, die schweren Schlitten zu ziehen. Neben den Pferden her stapften Männer, deren Skier auf den Schlitten lagen – ein Widersinn. Es drängt sich die Frage auf, warum man aus den Erfahrungen der Depottour nicht gelernt hatte: Damals hatten sich Ponyschneeschuhe als probates Mittel auf dem weichen Untergrund erwiesen. Offenbar hatten Scott und seine Leute erneut zu wenige eingepackt, und man besann sich erst sehr spät wieder auf sie. »Wir probierten heute bei Nobby die Schneeschuhe aus«, notierte Scott am 1. Dezember, einen Monat nach Beginn des Trecks. »Vier Meilen kam er wunderbar auf ihnen voran, dann zerbrachen die verdammten Dinger. Es besteht kein Zweifel, dass diese Schneeschuhe die Sache für die Ponys sind, und wenn unsere sie von Anfang an getragen hätten, dann würde es ihnen sicherlich besser gehen als jetzt.«
Abb 107
Wie alle ihre Vorratslager markierten die Norweger auch ihr Depot auf 85 Grad – das vorletzte auf der Eisbarriere – äußerst sorgfältig.
Abb 108
Ein Depot der Scott-Expedition, deren Kennzeichnung nachlässiger war – was sich später rächen sollte.
Inzwischen hatte sich der Zustand der Tiere dramatisch verschlechtert. Einige zeigten schon Zeichen von Auszehrung. Die steten diesbezüglichen Klagen von Oates hatte Scott lange nicht ernst genommen, sich vielmehr eingeredet, dass sie sogar den Gletscheraufstieg zum Polarplateau schaffen könnten. Nun wurde er angesichts der miserablen körperlichen Verfassung der Tiere zusehends nervöser. »Scott geht nun auf, was für Krüppel unsere Ponys sind, und macht ein langes Gesicht«, schrieb Oates mit einem makabren Anflug von Schadenfreude in sein Tagebuch. Und Cherry-Garrard notierte, dass Scott daran zu zweifeln begann, ob die Ponys ihre Aufgaben erfüllen könnten. Amundsen sei mit seinen Hunden viel besser dran. »Der Anblick eines Führers, der nicht nur seine Entschlüsse bereut, sondern obendrein nicht einmal die Beherrschung hat, das zu verbergen, ist nicht gerade erhebend«, so Cherry-Garrard niedergeschlagen.
Als am 15. November endlich das 240 Kilometer von Kap Evans entfernte One Ton Depot erreicht wurde, verabschiedete sich Scott endgültig von der Vorstellung, auch nur eines der Tiere den Gletscher hinauftreiben zu können. Stattdessen sollten die Ponys spätestens am Beginn des Aufstiegs getötet werden – wenn sie denn überhaupt so lange durchhalten würden. Die Ponyführer waren erleichtert, hatten sie sich doch seit Langem das Hirn zermartert, wie sie die bald bockigen, bald ungestümen Tiere durch das mit Spalten übersäte Gletschergebiet bringen sollten. Denn anders als beim Hundeschlittengespann, bei dem der Verlust einiger Tieren durchaus zu verkraften gewesen wäre, hätte der Ausfall eines Ponys fatale Folgen gehabt. Zudem schien es ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, in einem solchen Fall die Verbindung zwischen Pferd und Schlitten zu
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