Der Wettlauf zum Suedpol
So gab das Schlittenteam,
das schließlich am Mittag des 4. Januar aufbrach, ein bizarres Bild ab: Vier dick vermummte Männer mit wettergegerbten Gesichtern und eisverkrusteten Bärten zogen auf Skiern einen schwer beladenen Schlitten durch die Eiswüste, dazwischen stapfte ein fünfter mit viel zu kurzen Beinen durch den Schnee. Bowers war im wahrsten Sinne des Wortes das fünfte Rad am Wagen – »zum Glück wirft er uns nicht alle aus dem Takt«, notierte Scott.
An diesem Tag lief die Rückkehrergruppe noch einige Meilen mit ihnen in Richtung Pol: für den Fall irgendeines Missgeschicks, so hatte es Scott bestimmt. Dann stoppten die beiden Schlitten, und die acht Männer schüttelten sich ein letztes Mal die Hände. »Teddy Evans ist schrecklich enttäuscht, hat aber alles gut weggesteckt und sich wie ein Mann verhalten. Der gute alte Crean weinte, und selbst Lashly war gerührt«, schilderte Scott die Abschiedsszene in seinem Tagebuch. Keiner dachte daran, dass es ein Abschied für immer sein würde. Und weil die Männer auf der bisherigen Route, die sie als die einzig mögliche zum Pol hielten, keinerlei Spuren der Norweger entdeckt hatten, waren sie sich sicher, dass die britische Flagge bald als erste am Pol wehen würde. Die Rückkehrer brachten drei laute Hurrarufe auf die Polfahrer aus, dann wendeten sie ihren Schlitten und machten sich auf den Heimweg. Teddy Evans notierte: »Wir sahen uns oft um, bis die kleine Gruppe nur noch ein winziger schwarzer Punkt am südlichen Horizont war, und schließlich war sie ganz verschwunden.«
Amundsen auf dem Rückweg
Die Norweger hatten dem Pol inzwischen längst den Rücken gekehrt. Auf ihrem Weg nach Norden waren sie auch noch einmal an ihrem ersten Lager zehn Meilen vom Pol entfernt vorbeigekommen. In der Nähe des Platzes rammten sie eine große schwarze Fahne in den Boden, ungefähr in der Richtung, aus der Scott vom Beardmore-Gletscher heraufkommen musste. Dann aber ging es los. Wieder einmal liefen die Hunde wie von selbst, als witterten sie den Nachhauseweg. Die Männer hatten nun den beständig wehenden Südwind im Rücken, ebenso die Sonne, da
sie sich auf Nachtmärsche verlegten. Sie hatten keine Schwierigkeiten, ihren Heimweg zu finden – »die Schneewarten leuchten wie elektrische Ampeln«, so Bjaaland.
Amundsen hatte es eilig. Der Wettlauf zum Pol war noch nicht gewonnen, wenn es ihm nicht gelang, die sensationelle Nachricht als Erster publik zu machen. In einer Zeit, in der die Funktechnik noch in den Kinderschuhen steckte und an heutige Satellitentelefone noch nicht einmal im Traum zu denken war, hieß das, dass er so schnell wie möglich in die zivilisierte Welt zurückkehren und eine Telegrafenstation aufsuchen musste. Dennoch achtete er darauf, in der Höhenluft des Plateaus weiterhin sein bewährtes Tempo beizubehalten – 15 Meilen am Tag mussten genügen, und Menschen und Tiere ruhten sich für den Rest der Zeit aus. Trotzdem waren weitere Verluste zu beklagen: Bis zum Erreichen der Eisbarriere starben noch vier Hunde an Erschöpfung – sie wurden natürlich sofort an ihre Artgenossen verfüttert.
Abb 167
Die Norweger hatten es auf dem Rückweg eilig – auf Kosten der treuen Hunde, die sich bis zur Erschöpfung vor den Schlitten verausgabten.
Am ersten Weihnachtsfeiertag erreichten Amundsen und seine Gefährten ihr erstes Depot auf der Höhe von 88°25’. Auch die Norweger feierten Weihnachten, doch auf ein Festmahl wie die Briten mussten sie
verzichten. Niemand hatte heimlich Karamelbonbons oder Ingwerplätzchen ins Gepäck geschmuggelt, und so blieb eine aus Zwiebackkrumen und Milchpulver hergestellte Masse, die entfernt an die traditionelle norwegische Weihnachtsgrütze erinnerte, die einzige Überraschung dieses Festtags. Dennoch waren die Männer zufrieden. »Ich bezweifle sehr, dass irgendjemandem daheim in Norwegen seine Weihnachtsgrütze besser geschmeckt hat als die unsere da unten im Zelt auf der antarktischen Hochebene«, berichtete Amundsen, der sich anschließend mit seinen Männern die von Bjaaland spendierte Zigarre schmecken ließ. Während bei den Briten schon auf dem Hinweg zum Pol das Essen knapp wurde, erhöhte Amundsen aufgrund der günstigen Begleitumstände des Rückmarschs noch einmal die Rationen: von 350 Gramm Pemmikan auf 400, wenige Tage später sogar auf 450 Gramm pro Mann.
Am Neujahrstag des Jahres 1912 kamen sich die beiden Kontrahenten so nahe wie niemals sonst. Nur gut 150 Kilometer trennten Scott, der
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