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Der Widersacher

Der Widersacher

Titel: Der Widersacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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nicht, wer ich war und was ich von ihm wollte. Ich musste ihm sagen, wer ich bin und weshalb ich da war. Er lag auf dem Boden, so seitlich, auf den Ellbogen aufgestützt. Und ich stand über ihm, wie Gott.«
    »Was haben Sie zu ihm gesagt?«
    »Ich habe ihm gesagt, dass er sich mit dem Falschen angelegt hat und dass ich mir von ihm nicht noch mal das Gleiche antun lasse wie von seinem Vater. Und an diesem Punkt hat das Ganze eine ziemlich komische Wende genommen. Seine Reaktion hat mich ziemlich überrascht.«
    »Das verstehe ich nicht ganz. Wieso? Wie hat er denn reagiert?«
    »Er fing an zu lachen. Ich hatte diesen blöden Arsch gerade überrumpelt und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt, und er fand das irgendwie saukomisch. Ich will ihm einen gewaltigen Schreck einjagen, und er liegt vor mir auf dem Boden und lacht sich einen Ast.«
    Bosch dachte eine Weile nach. Ihm gefiel die Entwicklung, die das Gespräch nahm, immer weniger, denn es ging in eine Richtung, mit der er nicht gerechnet hatte.
    »Er hat nur gelacht? Und gesagt hat er nichts?«
    »Doch, irgendwann hat er zu lachen aufgehört. Und dann hat er gemeint, dass ich mir keine Sorgen mehr machen müsste.«
    »Was sonst noch?«
    »Das war eigentlich schon alles. Er hat gesagt, ich sollte mir keine Sorgen machen und könnte beruhigt nach Hause fahren.«
    »Haben Sie ihn gefragt, was er damit gemeint hat, dass Sie sich keine Sorgen mehr machen müssten?«
    »Das war eigentlich nicht nötig.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich es irgendwie gespürt habe. Dass er vorhatte, sich umzubringen. Dass er sich nur die Stelle aussuchen wollte, als er auf den Balkon raus ist. Er hatte vor, zu springen, und mit dem Jack Daniel’s hat er sich Mut angetrunken. Deshalb bin ich gegangen, und das … das war, was er dann auch getan hat.«
    Zuerst sagte Bosch nichts. McQuillens Geschichte war entweder eine raffinierte Ausrede oder verrückt genug, um wahr zu sein. Teile davon ließen sich nachprüfen. Das Ergebnis der Blutuntersuchung lag ihnen noch nicht vor, aber der Hinweis auf die Flasche Jack Daniel’s war neu. Auf dem Video, das Irving beim Einchecken zeigte, war nichts von ihr zu sehen. Kein Zeuge hatte erwähnt, dass Irving eine Flasche aufs Zimmer mitgenommen hätte.
    »Was war mit dieser Flasche Jack Daniel’s?«, fragte Bosch.
    »Hab ich Ihnen doch gesagt, er hat sie ausgetrunken und dann runtergeworfen.«
    »Wie groß war sie? Eine Literflasche?«
    »Nein, nein, kleiner. Ein Six-Shooter.«
    »Was ist ein Six-Shooter?«
    »Eine kleinere Flasche, wie ein Flachmann. Fasst ungefähr sechs Shots. Ich trinke selber Jack Daniel’s, deshalb kenne ich diese Sorte Flasche. Wir nennen sie Six-Shooter.«
    Bosch überschlug es im Kopf. Sechs kräftige Shots Bourbon entsprachen etwa einem Drittelliter. Eine flache Flasche dieser Größe könnte Irving beim Einchecken unter seiner Kleidung versteckt haben. Außerdem erinnerte sich Bosch an das Arsenal von Flaschen und Snacks, das er in der Kochnische der Hotelsuite auf der Arbeitsplatte hatte stehen sehen. Sie hätte auch von dort kommen können.
    »Okay, und als er die Flasche vom Balkon geworfen hat, was ist dann passiert?«
    »Ich habe gehört, wie sie unten im Dunkeln zerscheppert ist. Wahrscheinlich ist sie auf der Straße oder einem Hausdach oder sonst wo gelandet.«
    »In welche Richtung hat er sie geworfen?«
    »Einfach nach vorn, über die Brüstung.«
    Bosch nickte.
    »Okay, warten Sie kurz, McQuillen. Ich bin gleich wieder zurück.«
    Bosch stand auf, tippte wieder die Kombination ein und verließ das Zimmer. Er ging in Richtung Offen-Ungelöst den Flur hinunter.
    Als er am Videozimmer vorbeikam, ging die Tür auf und Kiz Rider kam heraus. Sie hatte die Vernehmung beobachtet. Bosch war nicht überrascht. Sie hatte gewusst, dass er McQuillen auf den Zahn fühlen wollte.
    »O Mann, Harry.«
    »Allerdings.«
    »Und? Glaubst du ihm?«
    Bosch blieb stehen und sah sie an.
    »Schlüssig ist seine Darstellung des Hergangs auf jeden Fall. Als ich ihn hergebracht hab, hatte er keine Ahnung, was wir gegen ihn in der Hand haben: den Knopf auf dem Fußboden, die Hautaufschürfungen an der Schulter, den Zeugen, der ihn zwei Stunden zu früh nach unten klettern gesehen hat. Seine Geschichte steht zu keinem dieser Punkte in Widerspruch.«
    Rider stemmte die Hände in die Hüften.
    »Und er gibt auch zu, dass er in diesem Hotelzimmer war. Und dass er das Opfer gewürgt hat.«
    »Das war ganz schön riskant. Zuzugeben, dass er im Zimmer

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