Der Widersacher
dass er es sehen konnte. Es war
The Stand – Das letzte Gefecht
von Stephen King.
»Ich habe es mir selbst ausgesucht.«
»Ganz schön dick für eine Schullektüre.«
»Aber es ist echt gut. Versuchst du, einem Gespräch über die zwei Weingläser auszuweichen, indem du nicht mit mir isst und mir dann diese ganzen Fragen stellst?«
Ertappt.
»Ich weiche nicht aus. Ich muss arbeiten, und die Weingläser in der Spülmaschine habe ich dir bereits erklärt.«
»Aber nicht, warum an einem Lippenstift war.«
Bosch sah sie an. Den Lippenstift hatte er übersehen.
»Wer ist hier eigentlich der Detektiv im Haus?«, fragte er.
»Versuch jetzt nicht, abzulenken. Damit will ich doch nur sagen, dass du mir wegen deiner Freundin nichts vorzumachen brauchst, Dad.«
»Erstens ist sie nicht meine Freundin, und zweitens wird sie das auch nicht werden. Es hat nicht geklappt zwischen uns. Tut mir leid, dass ich dir was vorgemacht habe, aber können wir das jetzt bitte sein lassen? Wenn ich jemals eine Freundin haben sollte, werde ich es dir sagen. Genauso, wie du mir hoffentlich sagst, wenn du einen Freund hast.«
»Okay.«
»Du hast doch keinen Freund, oder?«
»Nein, Dad.«
»Gut. Ich meine, es ist gut, dass du keine Geheimnisse vor mir hast. Nicht gut ist, dass du keinen Freund hast. Ich möchte kein Vater sein, der so ist.«
»Verstehe.«
»Gut.«
»Warum bist du dann so stinkig?«
»Ich bin doch …«
Er verstummte mitten im Satz, als er merkte, dass sie mit ihrer Einschätzung den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Er war wegen etwas sauer, aber es verschaffte sich bei etwas ganz anderem Ausdruck.
»Ich hab ja gerade gefragt, wer hier der Detektiv im Haus ist.«
»Ja, hab ich mitbekommen.«
»Montagabend haben wir uns doch dieses Video angesehen, wie dieser Mann ins Hotel eincheckt, und du hast damals schon gesagt, dass er gesprungen ist. Du bist allein aufgrund dessen, was du in den dreißig Sekunden Video gesehen hast, zu der Einschätzung gelangt, dass er gesprungen ist.«
»Ja, und?«
»Na ja, ich habe mich die ganze Woche lang mit der Sache beschäftigt und habe einen Mord gesehen, wo kein Mord war, und weißt du, was? Ich glaube, du hast recht. Du hast es von Anfang an gesehen und ich nicht. Ich werde wohl alt.«
Über ihr Gesicht legte sich ein Ausdruck aufrichtigen Mitgefühls.
»Das ist doch nicht so schlimm, Dad, und nächstes Mal liegst du wieder richtig. Hast du nicht selbst gesagt, dass man nicht jeden Fall lösen kann? Und außerdem ist dir das bei diesem ja doch noch gelungen, selbst wenn es ein wenig gedauert hat.«
»Danke, Mads.«
»Ich will es nicht noch schlimmer machen, als es ist, aber …«
Bosch sah sie an. Sie war stolz auf etwas.
»Los, rück schon raus damit. Was ist?«
»An dem Glas war gar kein Lippenstift. Ich habe nur geblufft.«
Bosch schüttelte den Kopf.
»Weißt du was? Eines Tages bist du diejenige, die man ins Vernehmungszimmer schickt. Bei deinem Aussehen und bei deinem Händchen für so was werden die Verbrecher Schlange stehen, um endlich gestehen zu dürfen.«
Sie lächelte und wandte sich wieder ihrem Buch zu. Bosch merkte, dass sie einen Taco übrig gelassen hatte, und er war versucht, ihn sich zu nehmen. Aber stattdessen machte er sich an die Arbeit und breitete Unterlagen und Berichte auf dem Tisch aus.
»Weißt du, wie ein Rammbock funktioniert?«, fragte er.
»Was?«
»Du weißt doch, was ein Rammbock ist?«
»Klar. Aber worauf willst du damit hinaus?«
»Wenn ich bei einem Fall nicht mehr weiterkomme, nehme ich mir noch mal die Akte und die ganzen Unterlagen vor.«
Er deutete auf den Tisch.
»Für mich ist das wie ein Rammbock. Man zieht ihn zurück und lässt ihn nach vorn schwingen, gegen die verrammelte Tür, und bricht sie auf. So in etwa ist es, wenn man alles noch mal von Anfang an durchgeht. Man geht zurück und nutzt den dabei gewonnenen Schwung, um alles nach vorn krachen zu lassen.«
Sie schien nicht recht zu verstehen, was ihn dazu bewogen hatte, ihr diesen Rat zu erteilen.
»Wenn du meinst, Dad.«
»Sorry. Lies ruhig weiter.«
»Hast du nicht gerade gesagt, dass er gesprungen ist? Warum kommst du dann nicht weiter?«
»Weil das, was ich glaube, und das, was ich beweisen kann, zwei verschiedene Paar Stiefel sind. Und in einem Fall wie diesem dürfen keine Fragen offen bleiben. Aber das ist mein Problem. Lies weiter.«
Das tat sie. Und er wandte sich der Mordakte zu. Er begann, alle Berichte und Zusammenfassungen, die er
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