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Der Widersacher

Der Widersacher

Titel: Der Widersacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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darauf. Bosch öffnete die Schranktüren. Dahinter befand sich ein Lager mit Videokameras, alten analogen Foto- und Polaroidkameras und einem Laptop. Auf den oberen Borden waren DVD s und Videokassetten aufgereiht. Auf einem waren drei alte Schuhkartons. Bosch nahm einen herunter und öffnete ihn. Er war voll mit alten, größtenteils stark verblichenen Polaroidaufnahmen, auf denen viele verschiedene junge Frauen und Männer zu sehen waren, die einen Mann, dessen Gesicht nie zu sehen war, oral befriedigten.
    Bosch stellte die Schachtel an ihren Platz zurück und schloss die Schranktüren. Er ging in den Flur zurück. Das Bad war genauso schmutzig wie das in 6 B, aber der Schmutzrand in der Wanne war bräunlich rot, und das verriet Bosch, dass Hardy hier das Blut abgewaschen hatte. Er verließ das Bad und schaute in den Schrank im Flur. Er enthielt nichts als einen knapp eineinhalb Meter hohen Plastikbehälter, der grob die Form eines Bowlingkegels hatte und mit einem Griff versehen war. Bosch kippte ihn nach vorn und sah, dass am unteren Ende zwei kleine Räder angebracht waren. Daraufhin rollte er den Behälter auf den Flur hinaus. Er fühlte sich leer an, und Bosch fragte sich, ob er ein Musikinstrument enthalten hatte.
    Doch dann entdeckte er auf der Seite des Koffers eine Plakette der Herstellerfirma Golf+Go Systems. Bosch begriff, dass der Behälter dazu diente, Golfschläger im Flugzeug zu transportieren. Er legte ihn auf den Boden und stellte beim Öffnen fest, dass die Schließen abschließbar waren. Der Koffer war leer, aber als Bosch ihn öffnete, sah er, dass drei grobkantige Löcher von der Größe von Zehncentstücken in die Außenhülle geschnitten worden waren.
    Bosch schloss den Koffer wieder, richtete ihn auf und stellte ihn in den Schrank zurück, damit er bei der offiziellen Durchsuchung dort gefunden werden konnte. Dann schloss er die Schranktür und kehrte nach unten zurück.
    Auf halbem Weg die Treppe hinunter blieb Bosch plötzlich stehen und hielt sich am Geländer fest. Ihm wurde klar, dass die drei Löcher in dem Golfschlägerkoffer dazu dienten, Luft ins Innere zu lassen. Und er begriff, dass ein Kind oder ein kleiner Erwachsener darin Platz finden würde. In diesem Moment trafen ihn die Unmenschlichkeit und die Verkommenheit mit voller Wucht. Er konnte das Blut riechen. Er konnte das gedämpfte Flehen hören. Er spürte das Leid dieses Orts.
    Er lehnte sich kurz an die Wand und ließ sich dann mit dem Rücken an ihr hinabgleiten, bis er auf der Treppe zu sitzen kam. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und beugte sich vor. Er hyperventilierte und versuchte, seinen Atemrhythmus zu verlangsamen. Er strich sich mit der Hand durchs Haar, presste die Hand dann an seinen Mund.
    Er schloss die Augen und dachte an einen anderen Todesort, einen unterirdischen Gang weit fort von zu Hause, an dem er einmal genauso auf dem Boden gehockt hatte. Eigentlich war er damals noch ein Junge gewesen, und er hatte panische Angst gehabt und seine Atmung zu kontrollieren versucht. Das war der Trick bei der Sache. Man musste seine Atmung unter Kontrolle bekommen, dann bekam man auch die Angst unter Kontrolle.
    Er saß nicht länger als zwei Minuten auf der Treppe, aber ihm kam es so vor, als wäre eine ganze Nacht vergangen. Schließlich normalisierte sich seine Atmung wieder, und die Erinnerung an den unterirdischen Gang verblasste.
    Sein Handy begann zu summen, und das riss ihn endgültig aus diesem finsteren Moment. Er nahm es aus der Tasche und schaute auf das Display. Es war Chu.
    »Ja?«
    »Harry, bei dir alles okay? Du bist schon ganz schön lange weg.«
    »Nein, alles klar. Ich komme gleich rüber.«
    »Und? Wie sieht es aus?«
    »Alles da, was wir brauchen.«
    Bosch drückte die Trenntaste und wählte Tim Marcias Durchwahl. Etwas vage erklärte er dem Spieß, was Sache war.
    »Wir werden einige Leute brauchen«, sagte Bosch. »Ich glaube, das wird eine Menge Arbeit. Außerdem brauchen wir jemanden, der sich um die Medien kümmert, und einen Verbindungsmann zu der Polizei hier vor Ort. Wir sollten eine Einsatzzentrale einrichten, weil wir sicher die ganze Woche hier unten sein werden.«
    »Okay, ich kümmere mich drum«, sagte Marcia. »Ich werde mit Lieutenant Duvall reden und alles in die Wege leiten. Hört sich ja an, als müssten wir die ganze Mannschaft runterschicken.«
    »Das wäre jedenfalls nicht schlecht.«
    »Bei dir alles okay, Harry? Du hörst dich irgendwie komisch an.«
    »Nein, alles

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