Der Widersacher
macht deine Schulter? Ich hab dich den Aktenkoffer von einer Hand in die andere wechseln sehen.«
»Ach, nichts.«
»Und was hat Maddie?«
»Nur irgendein Virus. Nichts Tragisches.«
»Grüß sie schön von mir.«
»Mache ich. Bis dann, Kiz.«
Damit wandte er sich endgültig von ihr ab und machte sich auf den Heimweg. Als er im dichten Verkehr auf dem Freeway 101 nach Hause kroch, lagen ihm beide Fälle, an denen er gerade arbeitete, schwer im Magen. Außerdem ärgerte es ihn, dass er sich Kiz gegenüber so mies verhalten hatte. Die meisten Polizisten hätten alles getan, um eine Quelle im Büro des Polizeichefs bei Laune zu halten. Phasenweise hatte das auch er getan. Aber eben war er richtig ungerecht zu ihr gewesen, ohne eine Entschuldigung dafür zu haben. Das musste er wiedergutmachen.
Auch Dr. Stone und die Arroganz, mit der er auf ihre Arbeit herabgeblickt hatte, gingen ihm durch den Kopf. Dabei bewirkte sie in vieler Hinsicht mehr als er. Sie versuchte, Straftaten zu verhindern, bevor sie begangen wurden. Sie versuchte, Menschen davor zu bewahren, Opfer zu werden. Er hatte sie wie eine Sympathisantin der Sexualverbrecher behandelt, obwohl er wusste, dass sie das nicht war. Los Angeles war eine Stadt, in der viel zu wenig Menschen etwas daran lag, sie zu einem besseren und sichereren Ort zu machen. Dr. Stone versuchte das, und er hatte auf sie herabgeblickt. Schäm dich, dachte er.
Er zog das Handy heraus und rief seine Tochter an.
»Bei dir alles okay?«
»Ja. Es geht mir schon besser.«
»Hat Ashlyns Mom nach dir gesehen?«
»Ja, sie sind beide nach der Schule vorbeigekommen und haben mir einen Cupcake gebracht.«
Am Morgen hatte Bosch der Mutter ihrer besten Freundin eine Mail geschickt und sie um diesen Gefallen gebeten.
»Haben sie dir auch deine Hausaufgaben vorbeigebracht?«
»Ja, aber so gut geht es mir nun auch wieder nicht. Hast du einen neuen Fall bekommen? Weil du den ganzen Tag nicht angerufen hast, denke ich fast, ja.«
»Das tut mir leid. Ich habe sogar zwei Fälle.«
Ihm entging nicht, wie geschickt sie die Unterhaltung vom Thema Hausaufgaben fortgesteuert hatte.
»Wow.«
»Ja, deshalb wird es heute etwas später. Ich muss noch kurz wo vorbeischauen, aber dann komme ich sofort nach Hause. Möchtest du eine Suppe aus Jerry’s Deli? Ich muss nämlich ins Valley hoch.«
»Eine Hühnersuppe mit Nudeln.«
»Alles klar. Mach dir ein Sandwich, wenn du Hunger hast, bevor ich heimkomme. Und sieh zu, dass die Haustür abgeschlossen ist.«
»Ich weiß, Dad.«
»Und du weißt, wo die Glock ist.«
»Ja, ich weiß, wo sie ist, und ich weiß, wie man damit schießt.«
»Braves Mädchen.«
Er steckte das Handy ein.
[home]
10
I m Feierabendverkehr brauchte Bosch fünfundvierzig Minuten nach Panorama City zurück. Als er am Buena-Vista-Zentrum vorbeifuhr, brannte noch Licht in den Fenstern, von denen er glaubte, dass sie zu dem Büro gehörten, in dem er am Nachmittag gewesen war. Eine Durchfahrt führte auf die Rückseite der Anlage. Dort befand sich ein eingezäunter Parkplatz, an dessen mit Stacheldraht gesichertem Tor ein Schild mit der Aufschrift KEIN ZUTRITT angebracht war.
Bosch bog an der nächsten Kreuzung links ab und kam kurz danach zu einer Seitenstraße, die hinter den Mietshäusern in der Woodman verlief. Er erreichte den eingezäunten Parkplatz hinter dem Buena Vista und hielt neben einer grünen Mülltonne am Straßenrand. Der Parkplatz war beleuchtet, der zweieinhalb Meter hohe Zaun war von drei Reihen Stacheldraht gekrönt. Es gab eine Tür zu der Mülltonne, aber sie war mit einem Vorhängeschloss versehen und ebenfalls mit Stacheldraht gesichert. Die Anlage schien vollkommen unzugänglich.
Auf dem Parkplatz standen nur drei Autos, darunter ein weißer Pkw, der an der Seite einen größeren Lackschaden zu haben schien. Bei genauerem Hinsehen merkte Bosch, dass der Schaden in Wirklichkeit frische Farbe war. Um die Graffitis zu überdecken, waren die Türen auf der Fahrerseite mit unpassendem weißen Lack besprüht worden. Das musste Dr. Stones Wagen sein. Sie war also noch in ihrem Büro. Bosch fiel auf, dass auch die ganze Rückwand des Gebäudekomplexes mit Graffitis besprüht war. Neben einer Tür mit den gleichen Warnschildern, die er am Nachmittag auf der Vorderseite gesehen hatte, lehnte eine Leiter an der Wand.
Bosch machte den Motor aus und stieg aus.
Als zwanzig Minuten später die Hintertür der Wohnanlage aufging und Dr. Stone darin erschien,
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