Der Widersacher
werden Sie, Sir.«
Bosch legte die Hand an Chad Irvings Oberarm und lotste ihn von seinem Großvater fort. Sie gingen zu einer Baumgruppe in der Mitte des Friedhofs. Dort gab es Schatten und Ungestörtheit.
»Chad, das mit Ihrem Vater tut mir aufrichtig leid. Ich leite die Ermittlungen zu seinem Tod und hoffe, schon bald herauszufinden, wie es dazu gekommen ist.«
»Okay.«
»Ich belästige Sie in diesen schweren Stunden nur äußerst ungern, aber ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen. Dann werde ich Sie aber in Frieden lassen.«
»Schon okay. Aber ich kann Ihnen eigentlich nichts darüber sagen.«
»Ich weiß, aber wir müssen mit jedem Familienangehörigen reden. Standardvorgehen. Fangen wir am besten damit an, wann Sie zum letzten Mal mit Ihrem Vater gesprochen haben. Wissen Sie noch, wann das war?«
»Ja. Wir haben Sonntagabend miteinander telefoniert.«
»Ging es dabei um irgendetwas Bestimmtes?«
»Eigentlich nicht. Er hat einfach nur so angerufen, und wir haben ein paar Minuten gequatscht. Über die Uni und alles Mögliche. Aber sein Anruf kam mir ein bisschen ungelegen, weil ich gerade auf dem Sprung war. Deshalb haben wir auch schnell wieder Schluss gemacht.«
»Wohin waren Sie auf dem Sprung?«
»Zu meiner Lerngruppe. Ich war sowieso schon spät dran.«
»Hat er irgendetwas von seiner Arbeit erzählt oder sonst etwas, was ihn vielleicht belastet hat?«
»Nein.«
»Was ist Ihrer Meinung nach mit Ihrem Vater passiert, Chad?«
Der Junge war groß und schlaksig, und sein Gesicht war von Akne überzogen. Er schüttelte über die Frage heftig den Kopf. »Woher soll ich das wissen? Ich hatte keine Ahnung, dass so etwas passieren könnte.«
»Haben Sie eine Idee, warum er sich im Chateau Marmont ein Zimmer genommen hat?«
»Nein, gar keine.«
»Okay, Chad, das war’s auch schon. Tut mir leid wegen der Fragen. Aber Sie wollen doch sicher auch wissen, was passiert ist.«
»Doch, schon.«
Chad blickte zu Boden.
»Wann fahren Sie wieder zurück an die Uni?«
»Ich schätze mal, ich bleibe mindestens noch übers Wochenende bei meiner Mutter.«
»Das wird sie vermutlich brauchen.«
Bosch deutete auf die Friedhofsstraße, wo die Autos standen.
»Ich glaube, sie und Ihr Großvater warten auf Sie. Danke, dass Sie sich für mich Zeit genommen haben.«
»Klar.«
»Alles Gute, Chad.«
»Danke.«
Bosch sah ihm hinterher, als er zu seiner Familie zurückging. Der Junge tat ihm leid. Er schien zu einem Leben voller Ansprüche und Erwartungen zurückzugehen, mit denen er nichts am Hut hatte. Aber allzu lange konnte sich Bosch damit nicht befassen. Es gab noch einiges zu tun. Als er sich auf den Weg zu seinem Auto machte, holte er das Handy heraus und rief seinen Partner an. Chu nahm erst nach dem sechsten Läuten ab.
»Ja, Harry?«
»Haben sie irgendwas gefunden?«
Bosch hatte das beste Spurensicherungsteam des LAPD angefordert und es noch einmal ins Chateau Marmont fahren und nach Anzeichen und Beweisen suchen lassen, die Mark McQuillen mit dem Mord in Zusammenhang bringen könnten.
»Nein. Bisher nicht.«
»Okay. Waren sie schon auf der Feuerleiter?«
»Dort haben sie angefangen. Aber da war nichts.«
Bosch konnte nicht sagen, dass er enttäuscht war, denn er wusste, dass es ziemlich unwahrscheinlich war, etwas zu finden, vor allem auf der Feuerleiter, die fast vier Tage lang ungeschützt der Witterung ausgesetzt gewesen war.
»Braucht ihr mich dort?«
»Nein, ich glaube, wir sind bald fertig. Wie war’s auf der Beerdigung?«
»Wie’s auf einer Beerdigung eben ist. Viel mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen.«
Um Chu so weit einzubeziehen, dass er die zweite kriminaltechnische Untersuchung des Tatorts beaufsichtigen konnte, hatte ihn Bosch in groben Zügen in die neue Richtung der Ermittlungen eingeweiht.
»Und wie geht es jetzt weiter?«
Bosch stieg in sein Auto und startete den Motor.
»Ich glaube, es wird Zeit, dass wir mit McQuillen reden.«
»Okay. Wann?«
Darüber hatte sich Bosch zwar bereits Gedanken gemacht, aber er wollte sich in Bezug auf das Wie, Wann und Wo noch nicht festlegen.
»Das überlegen wir uns, wenn du ins PAB zurückkommst.«
Bosch beendete das Gespräch und steckte das Handy in seine Jackentasche. Er lockerte seine Krawatte, als er vom Friedhof wegfuhr. Fast im selben Moment begann sein Handy zu summen, und er nahm an, es wäre Chu, dem noch etwas eingefallen war. Aber stattdessen stand Hannah Stones Name auf dem Display.
»Hannah.«
»Hallo, Harry.
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