Der Widerschein
Ersparnisse ihres bescheidenen Haushalts gekümmert, mittlerweile nahm diese Angelegenheit jedoch völlig andere Ausmaße an.
Der Meister begnügte sich seit seinem Erfolg nicht mehr damit, von seiner Frau zu erfahren, wie groß sein Vermögen war: Er verlangte eine exakte Auflistung sämtlicher Einnahmen, anfallender Kosten und sonstiger Ausgaben.
Die Meisterin durfte diese verantwortungsvolle Aufgabe – den künstlerischen Betrieb des Meisters aus finanzieller Sicht zu erfassen und gegebenenfalls zu optimieren – nur aus einem einzigen Grund übernehmen: Bros selbst hatte keine Zeit dafür.
In dieser Kalkulation spielten die enormen Einnahmen nur eine nebensächliche Rolle, ebenso wie die Ausgaben für Essen und Brennholz: Die Meisterin erhielt als wöchentliches Haushaltsgeld trotz des sichtbaren Reichtums weiterhin den gleichen Betrag wie zuvor.
Weniger durchschaubar waren die möglichen Schwankungen durch Rabatte, Preissteigerungen dringend benötigter Materialien oder die Reisekosten zu weit entfernt wohnenden Auftraggebern – und dazu mussten auch noch Steuern bezahlt werden, obwohl die politischen Verhältnisse in den Niederlanden zu dieser Zeit sehr unklar waren.
Am kompliziertesten war es jedoch, aus der Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben den tatsächlichen Gewinn zu ermitteln. Selbst wenn die Zahlen auf dem Papier einigermaßen genau bestimmt werden konnten – die konkrete Überprüfung der Summe scheiterte regelmäßig: Wann immer Bros sich Zeit dafür nahm, das vorhandene Geld zu zählen, musste er eine frappierende Differenz zu den errechneten Zahlen feststellen.
Dieses Unterfangen endete meist mit heftigen Auseinandersetzungen, in denen der Meister seine Frau nicht nur wüst beschimpfte, sondern sie beschuldigte, ihren eigenen Mann zu bestehlen.
Tatsächlich war die Meisterin mit den Anweisungen ihres Mannes heillos überfordert.
Allerdings erledigten sich diese Aufgaben glücklicherweise von selbst. Wann immer die Meisterin nämlich über den Rechnungsbüchern einschlief – am nächsten Morgen fand sie alles fertig vor, das Geld verstaut, alle Bücher standen akkurat am dafür vorgesehenen Platz.
Der Meisterin war das zwar recht – ein wenig beunruhigte sie dieser Umstand aber doch.
Hier offenbarte sich der Nachteil, dass der Meister mit seiner Frau kaum noch redete. Und da seine Gattin in ihrem Innersten ein großes Mitteilungsbedürfnis hatte, musste sie all ihre Gedanken, Freuden und Sorgen jemand anderem erzählen.
Dadurch bekamen nicht nur die Nachbarn regelmäßig zu hören, wie es um die aktuellen Verhältnisse und Entwicklungen im Hause Bros bestellt war – auch Gerlach erfuhr im Laufe der Jahre nahezu alles, was er wissen wollte: mit welchen Persönlichkeiten der Meister zu speisen pflegte, was es mit den Rechnungsbüchern auf sich hatte und wie der kindliche Lehrling hieß, den Bros stets um sich haben musste.
Seitdem schlief Gerlach wieder besser.
* * *
Erst durch den zufälligen Kommentar der Meisterin, Ferdinand sehe müde aus, wachte Bros eines Tages aus jenem wohligen Rausch auf, den die Bilder und ebenso das viele Geld in ihm ausgelöst hatten.
Kurz dachte er über die Worte seiner Frau nach, dann nickte er sich selbst zu und gab ihr die Anweisung, gemeinsam mit Ferdinand einen freien Tag zu verbringen – einen halben Tag.
Den Vormittag habe er noch gründlich die Werkstatt zu reinigen; Bros wolle sich dort am Nachmittag mit wichtigen Kunden treffen und einen ebenso wichtigen Auftrag besprechen.
Die Stadt verlassen durften sie nicht, und natürlich sollte der Junge mit niemandem reden.
Ferdinand gehen zu lassen, das war Bros nicht recht.
Aber schon war Mittag vorbei, und der Junge ging mit der Meisterin zur Tür, öffnete diese und trat hinaus. Mit einem sanften Klicken fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
Bros saß in der Werkstatt und wartete.
Stumm starrte er die zugefallene Tür an, durch die Ferdinand verschwunden war.
Kein Wort hatte der Junge zum Abschied gesagt, fuhr es dem Meister durch den Kopf. Überhaupt war Ferdinand nicht gesprächig, Bros konnte sich an keine längere Unterredung mit seinem Lehrling erinnern, nicht einmal der Klang seiner Stimme fiel ihm jetzt ein.
Bros wandte sich von der Tür ab, stand auf und schritt durch den Raum.
Es schlug zwölf, er hatte also noch Zeit. Der Gedanke an die erste Begegnung mit diesem, diesem Teufelskerl! – diese verdrängte Erinnerung lugte zwischen den wichtigen Dingen in seinem Kopf
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