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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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Weile kamen Händler und Gesandte aus ganz Europa vergeblich in die niederländische Stadt, um Bros und seine Werkstatt zu besuchen; allerdings nicht nur in der Absicht, etwas zu kaufen oder in Auftrag zu geben.
    Es hatte sich nämlich gezeigt und herumgesprochen, dass die Bilder mysteriöse Effekte hervorriefen: Reihenweise erstarrten die Menschen vor ihren gemalten Abbildern, manche fielen mit einem Aufschrei in sich zusammen, in Ohnmacht, wurden unverkennbar vom Schlag getroffen.
    Die schlimmste Entdeckung war jedoch, dass etliche Porträtierte mit der Zeit wahnsinnig geworden waren, die Bilder lautstark und wild tobend von den Wänden und aus den Rahmen gerissen und zerhackt und zerfetzt und durch die Räume geschleudert hätten; und einige Personen hätten sich im Laufe dieser Raserei sogar verstümmelt oder selbst gerichtet.
    Seit all diesen Ereignissen galt in jener Region das Kunsthandwerk nicht mehr viel.

Drittes Kapitel
    F ür elternlose Kinder war das Leben in jenen Tagen sehr vorhersehbar, sowohl in den Niederlanden als auch in den benachbarten Ländern. Überstanden diese armseligen Geschöpfe die ersten kritischen Stunden nach ihrer Geburt, verlebten sie die darauf folgende Zeit ihrer Kindheit in Heimen, Armenhäusern und ständiger Missachtung.
    Auch in den Städten verdankten verwaiste Kinder ihre Namen der Willkür ihrer Zieheltern. Man nahm sie ohnehin nur dann auf, wenn durch Krankheitswellen überraschend Schlafplätze frei wurden, fütterte sie mit dem Nötigsten, strafte unbelehrbare Quälgeister pflichtbewusst und musste sich ihnen gegenüber kaum wiederholen.
    Zur allergrößten Not reichte man sie an andere, strengere Anstalten weiter.
    Sofern Pocken, Wundbrand und die Züchtigungen ihrer Vormünder keine größeren Schäden hinterließen, dann hatten diese Kreaturen bis zu ihrem zehnten Lebensjahr unzählige Böden gereinigt, Unmengen von Holz gespalten und all die nützlichen Tätigkeiten erlernt, die sich für die mittellosen Schichten jener Zeit schickten.
    Mit etwas Glück konnten sie Brot backen, Hühner rupfen, Strümpfe stopfen, aber auch gängige Volkslieder singen; ein vorbildliches Waisenkind brachte seinen Erziehern mehr Vorteile ein, als es Kosten verursachte.
    Keines dieser Wesen brauchte daher eine ordentliche Schule jemals von innen zu sehen.
    Der Wunschtraum eines jeden elternlosen Kindes war natürlich, von einer Familie adoptiert zu werden und ab diesem Moment ein bürgerliches Leben beginnen zu dürfen. Dieser romantischen Vorstellung hingen in den Niederlanden nicht wenige Menschen bis zu ihrem Lebensende nach.
    * * *
    Bereits nach wenigen Kilometern entschied die Meisterin, ihr neues Leben ohne belastende Erinnerungen zu beginnen.
    Obwohl sie mehrere Jahre mit Ferdinand unter einem Dach gelebt hatte, war ihr nie in den Sinn gekommen, welchen Anteil dieser Junge am Erfolg ihres verstorbenen Gatten gehabt hatte. Insgeheim hegte sie den furchtbaren Verdacht, dass dieser Knabe nur zu einem einzigen Zweck in ihr Haus geholt worden war – was zugleich die Abneigung ihres Mannes ihr gegenüber erklären würde.
    Unzucht! Dabei war der Junge höchstens zwölf Jahre alt!
    Schon der bloße Gedanke hatte ihr manche schlaflose Nacht beschert.
    Glücklicherweise hatte sie dafür nie einen Beweis gefunden.
    An einer größeren Weggabelung bat sie Ferdinand freundlich, aber bestimmt, aus der Kutsche zu steigen.
    Er, Ferdinand, müsse seinen eigenen Weg gehen, Land und Leute kennenlernen, sich ein persönliches Bild seiner Zeit machen, erst dann könne er ein wahrer Meister seiner Zunft werden. Sobald er so weit sei, solle er sie an der Westküste der Niederlande ausfindig machen, dann würde sie ihm gern einen Gesellenbrief ausstellen.
    Wenn er diese Straße weiterging, erklärte ihm die Meisterin, komme er früher oder später sicher in irgendeine Stadt. Die Niederlande seien nach wie vor ein idealer Ausgangspunkt, um aus Menschen wie Ferdinand bedeutende Künstler zu machen. Mit diesen Worten überreichte sie ihm lächelnd eine einzelne Münze, tätschelte seine Wange und hieß den Kutscher losfahren.
    Als Ferdinand mit dem Einbruch der Nacht tatsächlich die Tore einer größeren Stadt erreichte, wurde er – bevor er überhaupt um Einlass bitten konnte – von mehreren kräftigen Händen gepackt und kopfüber zur Seite gezerrt.
    * * *
    Wie es in den meisten größeren Ortschaften schon seit langem Brauch war, hatten die Würdenträger jener Stadt per Gesetz angeordnet, unschöne

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