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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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hervor. Er erinnerte sich plötzlich wieder an alles: An jenes missratene Bild der Grafentochter, an die damals dunkle Werkstatt, an seine Mühen, sich als Maler einen Namen zu machen. Wo vorher der klobige Tisch gestanden hatte, stand nun ein stolzer Schrein, der schon allein mit den Ornamenten seiner Arbeitsfläche einen edlen Glanz verbreitete.
    Bros stand still, seine Augen huschten von einer Erinnerung zur nächsten – er wusste noch alles. Jedes Staubkorn, jedes Haar, er sah alles wieder vor sich – war das wirklich er gewesen?
    Die damals so düstere Werkstatt erstreckte sich nun bis zur ehemaligen Stube, der Raum hatte durch zusätzliche Fenster eine einladende Behaglichkeit erhalten. Ebenso die Möbel, die er komplett ersetzt, so den Raum geöffnet und der zuvor unheimlichen Aura der Werkstatt ein ruhiges Ambiente verliehen hatte. Die schmalen Fenster, die enge Haustür und die Doppel- und Dreifachgiebel ersetzte er durch vergitterte Fensterfronten, vor denen grüngelbe Vorhänge den Raum vor den Blicken der Nachbarn verbargen. Die niedrige Decke streckte er mittels einer Blumenbordüre und das abgewetzte Kanapee bedeckte er mit fein geklöppelten Spitzendeckchen.
    Dort half Licht, da ein charmantes Detail, hier ein Tupfer Farbe – schöner hatte das Atelier des Meisters nie ausgesehen, und jeder, der diesen Raum betrat, hielt Bros unweigerlich für einen der vornehmsten Künstler seiner Zeit.
    Ferdinand – den hatte Bros nun völlig vergessen.
    Der Ofen glühte, alle Werkzeuge lagen geordnet auf dem Tisch. Bros’ Blick glitt von einem zum anderen. Neue Pinsel steckten unberührt in präzisen Fassungen, sortiert nach Länge, Stärke und Breite. Darunter die spiegelblanken Paletten. Im Tisch selbst war eine große Schublade, in welcher er Bögen jeder Größe aufbewahrte, nur beste Qualität.
    Stumm stand Bros vor der Arbeitsfläche, da rutschte sein Blick zur Seite, zu Ferdinands Schlafstätte. Diese sah so aus wie damals, wie auf jenem ersten Bild, das Ferdinand in Bros’ Werkstatt erschaffen hatte: eine schmale fensterlose Nische, darin eine knorrige Bank, darauf Flickendecken und Papierfetzen. Tag wie Nacht verbarg ein unauffälliger Vorhang diesen Anblick, aber heute hatte Ferdinand ihn nicht zugezogen.
    Bros stutzte. Dort lebte Ferdinand? Hatte er ihm nie ein besseres Bett angeboten, immerhin bot sein Haus in der oberen Etage doch mehr als genug Platz? Bros trat näher, verwirrt und zugleich neugierig, ob er zwischen diesen Lumpen noch etwas finden konnte, was sich vielleicht zu Geld machen ließ.
    Natürlich war Bros schon mehr als reich. Zuhauf lagerten im ersten Stock die berühmten Kisten und Truhen mit Münzen und Gold, beinahe täglich vermehrte sich dieser Schatz.
    Reich und geizig, so hieß es in der Stadt, ein richtiger Nimmersatt!
    Bros konnte anscheinend nicht genug besitzen.
    Mit zittrigen Fingern schob er den Vorhang vollends beiseite: Alles schien wie damals.
    Ungeniert durchsuchte er den Verschlag, wühlte zwischen Fetzen und Brotkrumen und schichtete alles Brauchbare zusammen. Es war nicht viel, eine Handvoll ansehnlicher Blätter, der Rest dreckige Abfälle.
    Wieder stutzte Bros. Er hatte gar keine Kleidung gefunden. Hatte Ferdinand denn nichts zum Wechseln? Ungläubig wühlte Bros erneut herum, warf alles aus der Nische in den Raum und zerrte letztendlich die Bank heraus.
    Da war ja doch noch etwas, eine kleine Rolle! Versteckt hinter der Bank! Begierig griff Bros danach und breitete die zwei Bögen einen nach dem anderen in der Luft auseinander.
    Weiter kam er nicht – Bros erbleichte.
    Das eine Bild zeigte Ferdinands Schlafstätte – aber sie zeigte sie eben nicht nur: Im Kopf des Meisters wurde sie erst durch dieses Bild wirklich.
    Das andere Bild zeigte ihn selbst: Bros, wie er stolz sein letztes eigenes Bild vollendete.
    Jetzt aber sah der Meister etwas anderes: Er sah, wie sich im Moment des Betrachtens sein gemaltes Ich verzerrte, wie die Ebenen des Bildes kollidierten, wie sich aus den konkreten Dingen im Bild absonderliche Wesen herausbildeten, die ineinander griffen, zusammenflossen. Bros sah, wie sich aus seinem Abbild eine rasende Kreatur formte, sich aus dem Bild erhob: ein Alptraum, Klauen und Krallen nach ihm ausstreckend, sich mit wirklichen Tentakeln und realen Greifarmen aus dem Papier zwängend, die in ihn, in seinen Geist, eindrangen und sich in Windeseile in seine Gedanken hineingefressen hatten.
    Bros erstarrte nicht nur – er versteinerte.
    Seinen

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