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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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verkrampften Fingern entglitten die Bilder und segelten sanft zu Boden.
    Unfähig, sein Gleichgewicht zu halten, kippte Bros schließlich vornüber, schlug mit dem Kopf hart auf die Tischplatte und sackte zu Boden.
    Ein schmales Blutbächlein rann über den Fußboden, ohne die fallen gelassenen Papierbögen zu berühren.
    Kurz stöhnte Bros ein letztes Mal auf.
    Dann regte er sich nicht mehr.
    * * *
    Bros’ Tod brachte natürlich im Nu allerlei Aufregung mit sich.
    Der vom Meister erwartete hohe Besuch erschien und fand den Toten in seiner Werkstatt, man rief lautstark um Hilfe, war schwer getroffen, geradezu schockiert.
    Durch die offene Tür der Werkstatt drängten unaufhörlich Schaulustige herein, glotzten die wichtigen Herren wie auch den toten Bros respektlos an, begrapschten alles, redeten sinnlos durcheinander und standen überall im Weg herum!
    Zudem waren Ferdinand und die Meisterin unauffindbar – schon witterte die Menge ein tragisches Ehedrama mit fatalem Ausgang.
    Mord! hieß es, ein Fingerzeig Gottes!
    Neid, Eifersucht! Die Schlechtheit der Menschen war schuld!
    Oder einfach nur: die gerechte Strafe.
    Erstaunlich rasch setzte sich der Verdacht des Mordes durch.
    Ein Bauer wollte zudem einen Jungen gesehen haben, in Begleitung eines älteren Herrn – sicher der Kunsthändler Gerlach! Der hatte sich zwar nie selbst in der Stadt blicken lassen, aber dass die beiden, Bros und Gerlach, nicht mehr miteinander korrespondierten, geschweige denn zusammen arbeiteten, das war in der Bevölkerung längst Stadtgespräch.
    Die Feindschaft zwischen dem Händler und dem Künstler war legendär, nicht nur durch die zahlreichen seltsamen Ereignisse, die damit in Verbindung standen: Da war das viele Geld, Bros und seine Amsterdamer Episode, der seltsame Brand in der Nachbarstadt.
    Selbst Gerlachs Briefe an Bros waren in der Stadt erstaunlicherweise weithin bekannt.
    Vorsichtshalber zogen deshalb nun einige neugierige Nachbarn von Bros in die Nachbarstadt, klopften bei Gerlachs Kunsthandlung und forderten dort Erklärungen für die Geschehnisse – erfolglos.
    Gerlach schien von den neuesten Vorkommnissen nicht die Spur einer Ahnung zu haben.
    Gänzlich folgenlos blieb dieser Besuch jedoch nicht.
    Nicht nur, dass Gerlach sich anscheinend in seinem Haus verschanzt hatte und auf Besucher sehr missmutig reagierte – vor allem sein vernachlässigtes Äußeres löste Überraschungen aus, hatte man den Kunsthändler doch immer als gepflegte und würdevolle Persönlichkeit in Erinnerung gehabt.
    Die unverkennbare Freude von Gerlach darüber, dass Bros vor ihm gestorben war, und natürlich auch der gemeinschaftliche Neid auf Bros und seinen Reichtum – dies alles ließ recht zügig Vermutungen, Beleidigungen und Anschuldigungen aufkommen: Gerlach habe den Meister aus Missgunst ermordet – nein, ermorden lassen!
    Unvorsichtigerweise erwiderte Gerlach – der gedanklich schon dabei war, Ferdinand und vor allem dessen Fähigkeiten in seinen Besitz zu bringen –, dass er so etwas Idiotisches eher den neidischen Nachbarn von Bros zutrauen würde, die leider direkt vor ihm standen.
    Der darauf folgende Wortwechsel steigerte sich rasch zu einer wilden Prügelei, in deren Verlauf Gerlach mehrere Zähne einbüßte.
    Man zog also unverrichteter Dinge wieder ab.
    Nach wie vor schienen die Ereignisse einen Verantwortlichen zu erfordern. Schnell war man sich einig, die Meisterin und Bros’ Lehrling einem sorgsamen Verhör zu unterziehen. Aber als beide am späten Abend endlich auftauchten, schwor die Meisterin Stein und Bein, dass der Junge den gesamten Nachmittag mit ihr verbracht habe, bei einem langen Spaziergang; mehrere Arbeiterinnen auf den Feldern würden das bezeugen können.
    Ratlos setzte man auf Bros’ Mörder ein Kopfgeld aus – vergebens.
    * * *
    Bereits nach wenigen Tagen verließ die Meisterin überraschend die Stadt.
    Die Hälfte des gehorteten Geldes spendete sie an einige Waisenhäuser in der Region, ließ wenige Möbel und natürlich die Geldkisten auf eine protzige Kutsche verladen, warf einen kurzen wehleidigen Blick zurück und zog dann mit Ferdinand ostwärts, zur Küste.
    Für das Grab ihres verstorbenen Gatten gab sie vor ihrer Abreise einen schlichten Grabstein in Auftrag, lediglich mit seinem Namen und einem Pinsel versehen. Aber schon in der Nacht nach seiner Errichtung wurde der Stein von Unbekannten entfernt und Gerüchten zufolge an der tiefsten Stelle des Flusses versenkt.
    * * *
    Noch eine ganze

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