Der Widerschein
Zufall sehr dankbar.
Der Lehrling komme eben schon jetzt ganz nach dem Vorbild des Meisters.
* * *
Nach der deutlichen Antwort von Bros hatte Gerlach zwar einige Zeit dem entgangenen Profit und vor allem den von Reitinger gekauften Zeichnungen nachgetrauert, sich aber schließlich wieder seinem Geschäft zugewandt. Der Umstand, dass Bros mit seinen Bildern den trägen Kunstmarkt in Bewegung brachte, kam auch ihm in gewisser Hinsicht zugute.
Die Auswahl der Kunstwerke in seinem Verkaufsraum unterzog Gerlach jedoch einer schonungslosen Überprüfung. Hatte er in diese Ansammlung früher mittelmäßige oder gar schlechte Objekte eingefügt, um die Wirkung großartiger Werke noch zu verstärken – von dieser Methode war mittlerweile nichts mehr zu spüren. Beinahe täglich reduzierte Gerlach seinen Besitz, sortierte aus und um, verkaufte weit unter Preis oder ließ – sofern dies noch möglich war – Gemälde und Statuen kommentarlos an den jeweiligen Künstler zurücksenden.
Die Magd machte ein besorgtes Gesicht: Ob es ihm mit seinem Vorhaben tatsächlich ernst sei. Die vielen Bilder! So etwas dürfe man doch nicht einfach so weggeben, geschweige denn wegwerfen!
Gerlach holte tief Luft, Anspannung war in seiner Stimme zu vernehmen.
Mit derlei halbherzigen, ja minderwertigen Arbeiten, mit so etwas habe er sich noch nie gern abgegeben. Sein Anliegen als Kunsthändler sei immer schon die Kunst in der Kunst gewesen, das wirklich Besondere, die Krone der Schöpfung! Alles, was er aussortiert habe, verdiene seine Aufmerksamkeit nicht und könne daher weg, sofort!
Ihm, Gerlach, werde regelrecht schlecht davon, gewöhnliche Kunst betrachten zu müssen.
Dieser radikale Ausverkauf wurde erst gestoppt, als überraschend das Haus von Gerlachs Nachbarn Reitinger abbrannte. Schon als Gerlach durch das Fenster seiner Werkstatt die züngelnden Flammen am Nachbarhaus erkennen konnte – was zum Glück ein gutes Stück entfernt stand –, da flammten in ihm die damaligen Geschehnisse wieder auf: Die zauberhaften Zeichnungen, der verdammte Bros – aber auch seine fast verdrängten Visionen, jene schrecklichen Erinnerungen, seine Todesangst.
Gerlach erschauderte.
Obwohl der Brand schnell gelöscht war, konnte von den Bewohnern, Möbeln und sonstigen Dingen im Haus nur wenig gerettet werden; darunter allerdings glücklicherweise nahezu all jene Werke, die Gerlach damals zu hastig und unüberlegt hergegeben hatte und seitdem kein einziges Mal mehr begutachten durfte.
Sein Nachbar Reitinger hatte sich seit dem Kauf jener Zeichnungen mehr und mehr zurückgezogen; gekauft hatte er bei Gerlach seitdem überhaupt nichts mehr. Nur selten erblickte man ihn außerhalb seines Hauses, und die letzten Wochen vor dem fatalen Brand hatte er den Kontakt nach außen vollständig abgebrochen.
Reitinger hatte sich in ein Gespenst, in eine Art Phantom verwandelt.
Weder Gerlach noch sonst jemand wusste, worin der Grund dieses merkwürdigen Verhaltens lag.
Bei dem Feuer waren Reitingers Frau und sein gesamtes Gesinde verbrannt; der Hausherr selbst zog sich so starke Verletzungen zu, dass er als blinder Krüppel ins Haus seines ältesten Sohnes umziehen musste, der wiederum sämtliche erhaltenen Bilder und Kunstwerke aus dem Besitz seines Vaters Gerlach zum Kauf anbot, um seinen Teil des bald anzutretenden Erbes zu sichern.
Gerlach kaufte: ohne zu verhandeln, ohne auf den Zustand der Werke zu achten, ohne seinen Nachbarn Reitinger eines Blickes zu würdigen.
Was für ein glücklicher Unfall, so ein schrecklicher Glücksfall!
Noch am gleichen Abend begann er, die wiedergewonnenen Zeichnungen einer genauen Untersuchung zu unterziehen.
Von da an war Gerlach wie ausgewechselt.
Anstatt die Zeichnungen lediglich den früheren Werken von Bros gegenüberzustellen – von denen nur noch eine Handvoll Exemplare im Verkaufsraum zu finden waren –, verlor sich Gerlach in einer akribischen Analyse, was auf den Bildern alles zu entdecken war.
Aus Stunden wurden Tage, aus den Tagen Wochen.
Gerlach betrachtete und notierte, er verglich und registrierte, er sah die Zeichnungen an, bis er vor Erschöpfung einschlief.
Im Schlaf murmelte er dazu Vermutungen und Überlegungen: Es verberge sich etwas hinter den Bildern, eine Welt, eine neue wunderbare Welt, die warte dahinter auf ihn!
Beinahe jede Nacht wurde die Magd nun von Gerlach geweckt: Denn seine Traumgespräche steigerten sich zumeist dahingehend, dass er im Schlaf schluchzte und weinte.
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