Der Widerschein
berühmten Worte aussprach: Das erinnere ihn an ein bestimmtes Ereignis längst vergangener Tage.
Woher Brown diese Geschichten hernahm, das war Huygens ein Rätsel. Ausgehend von den Verzierungen einer gesprungenen Teetasse holte er weit aus, erzählte, dass er – natürlich im Auftrag der englischen Krone – den indischen Ozean überquert und während der wochenlangen Überfahrt einen uralten preußischen Forscher kennengelernt habe – schon wenige Sätze später fanden sich Brown und seine Zuhörer auf einer Expedition wieder, die sie tief in den unerforschten Urwald der berüchtigten Insel Java hineinführte. Moskitos und Giftschlangen, wohin man blickte; Affen bewarfen sie mit Ästen und ihrem eigenen Kot, ja, man begegnete kunstvoll bemalten Eingeborenen, die vergiftete Pfeile auf sie schossen – natürlich, um sie, die weißhäutigen Europäer, zu töten und am Abend verspeisen zu können.
Durch Browns wagemutiges Engagement konnte man nicht nur einen Waffenstillstand zwischen den Forschern und jenen Wilden erreichen: Man sollte dazu Nahrung, Unterkunft und einen exklusiven Zugang zu uralten unerforschten Tempelanlagen erhalten.
Im Gegenzug habe er allerdings sein privates Teeservice – Tassen, Untertassen, Teller, Zuckerschale und vieles mehr, die ihm angeblich von der englischen Königin persönlich überreicht worden waren – hergeben müssen. Jenes Bild auf der hier vorliegenden Tasse zeige eine verblüffende Ähnlichkeit zu jenem Motiv, welches damals sein eigenes Service geziert habe – er bedauere den Verlust heute noch: Hochwertiges Porzellan sei in manchen Gegenden mittlerweile angesehener als Gold und Edelsteine – wie seine Geschichte bezeuge.
Obwohl sich Brown bei einigen seiner Erzählungen oftmals in Widersprüche verstrickte – mal war er Leibwächter eines Lords, mal ärztlicher Berater Seiner Majestät; einmal gab er sich als waschechter Kommandant einer gefechtsbereiten Fregatte aus – für Huygens schien er dennoch zu der ganz speziellen Gruppe von Insassen zu gehören, deren Aussagen ab und zu der Wahrheit entsprachen.
Es gab kein Thema, über das der Engländer nicht Bescheid wusste.
Brown konnte präzise Angaben über die Strategien der angelsächsischen Flotte machen, erteilte den fähigen Mithäftlingen lehrreiche Lektionen im Schachspielen und Stockfechten; sogar kleine und größere Operationen an geschwollenen Gelenken und gebrochenen Knochen hatte er schon vor aller Augen durchgeführt.
Zuletzt verfasste er Monat für Monat brillante Briefe und Berichte, die meisten davon an das englische Königshaus, mit der jeweils abschließenden Bitte, ihn doch so bald wie möglich aus seiner misslichen Lage auszulösen – die Huygens jedes Mal mit Hochachtung studierte, bevor er die Blätter schweren Herzens zerriss und verfeuerte.
* * *
Nieselregen tröpfelte auf die Straße, Dunst hing über den Feldern, das Fell der Pferde schimmerte und glänzte. Gerlachs Augen schauten ausdruckslos ins Leere. Seit Jahren hatte er keinen Fuß mehr vor die Tür gesetzt: Seine Aussichten, derartige Ausflüge zu überleben, schätzte Gerlach schon seit jeher als äußerst gering ein.
Aber wenn der Prophet nicht zum Berg kam, blieb ihm wohl keine andere Wahl.
Diese Idee stammte zu Gerlachs Verwunderung nicht von ihm selbst, sondern von seiner Magd. Seitdem er sie mit Ferdinands Bildern konfrontiert hatte, vollzog sich an ihr eine auffallende Verwandlung. Nicht nur, dass sie auf die Betrachtung der Bilder gänzlich andere Reaktionen zeigte als Gerlach oder seine Handlanger; sie schien selbstbewusster, mutiger zu werden, geradezu frech! Die Magd war sich ihrer Verwandlung offenbar sehr wohl bewusst.
Fast täglich gab sie nun unerhört direkte Kommentare von sich – als ob solche Äußerungen ihr aufgrund ihrer jahrelangen Beschäftigung bei Gerlach in irgendeiner Art und Weise zustünden. Spaziergänge schlug sie ihm vor, gegen die Falten auf der Stirn; sie riet ihm zu mehr Schlaf und weniger Arbeit; und er sollte sich um Gottes willen nicht mit solchen zwielichtigen Leuten abgeben, die ihm tagein, tagaus neue Bilder ins Haus brächten; dieses Gesindel würde ihn noch in großes Unglück stürzen. Wenn es wirklich sein Herzenswunsch sei, den Schöpfer dieser wunderbaren Werke zu treffen, dann dürfe er sich nicht auf andere Menschen verlassen, schon ja nicht auf solchen Abschaum.
Er müsse dies selbst in die Hand nehmen.
Er müsse sich selbst auf den Weg machen.
Gerlach schaukelte auf
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