Der Widerschein
dem Sattel bedrohlich hin und her, klammerte sich an die Zügel, während die Pferde im sanften Tritt die Straße entlang schritten. Seine Begleiter ritten vorneweg, hielten in regelmäßigen Abständen an, wandten ihre Pferde, um Gerlach aufschließen zu lassen.
Seine Magd hatte ihn zu dieser elenden Reise verleitet!
Ihr ewiges Gerede! Ihre nicht enden wollenden Belehrungen! Ihre vorlauten Kommentare!
Sie, allein sie hatte diese sinnlose Expedition zu verantworten!
Sie hatte diese verdammten Zweifel in ihm ausgelöst!
Die bohrende Frage, ob seine Handlanger auch das taten, was sie tun sollten!
Allein wegen dieser aufkommenden Phantome in seinem Kopf hatte er nächtelang kein Auge zugemacht, seine Magd aus dem Haus gejagt – jagen lassen – und innerhalb kürzester Zeit genug Informationen zusammengetragen, um sich tatsächlich auf die Reise zu machen.
Gerlach hing seinen Gedanken nach.
Noch bis vor wenigen Tagen hatte er die meiste Zeit gedankenverloren in seinem Archiv verbracht, welches sich mittlerweile damit rühmen konnte, ausschließlich die Bilder des unvergleichlichen Künstlers Ferdinand Meerten zu beherbergen.
Leider beschränkte sich die Schaffensperiode dieser Sammlung auf die Anfangsjahre, die zwar eine Vielzahl von phantastischen, ja sogar bedrohlichen Werken hervorgebracht hatte. Sie gab jedoch keinen Hinweis darauf, wie und in welcher Art sich die heutigen Bilder in diese Reihe einfügen würden. Allein die winzige Zeichnung jener mysteriösen Hexe ließ vermuten, welche Genialität den neuesten Schöpfungen von Ferdinand Meerten innelag.
Haftete den früheren Werken noch eine kindliche Einfachheit an – etwa das harte Abbild eines streng dreinschauenden Familienvaters, umgeben von Frau, Kindern und Angestellten, deren schwarze Kleider sich in Schwärme aus Käfern, Krähen und Ratten verwandelten, die sämtliche Figuren überströmten und eine kahle Wüste zurückließen –, so bot das Bild der Hexe eine zauberhafte Reise durch Raum und Zeit.
Mit ihrem winzigen Abbild hatte Gerlach herrliche Stunden verlebt; wenn er sich daran erinnerte, kam es ihm vor, als sei er mit ihr durch phantastische Gärten gestreift, habe sich wunderbar mit ihr über Pflanzen und ihre Bedeutungen unterhalten – auch wenn die Gewächse jenes geträumten Parks sich jeglicher Logik zu entziehen schienen; wie von selbst formten sich aus Ästen und Wurzeln Brücken und Treppen; Blumen und Farnwedel umspielten sie gleich zahmen Tierchen; Rehe, Enten und Füchse kreuzten lautlos ihre Wege, streiften sanft neben ihnen her; Sonne und Wipfelrauschen säumten sämtliche Pfade – im nächsten Augenblick fand Gerlach sich zwischen unzähligen Menschen wieder, in prächtige Kleider und Gewänder gehüllt, tanzend – er, Gerlach, er tanzte! Nie hatte er einen einzigen Tanzschritt gelernt – jetzt hielt er die Hexe im Arm und wirbelte sie wie eine Prinzessin umher, erntete bewundernde Blicke der anderen Tänzer, bekam Applaus spendiert, sog die plötzliche Anerkennung mit jedem Atemzug tief in sich hinein.
Man schlage eine Pause vor.
Gerlach öffnete die Augen; Regen peitschte in sein Gesicht, stumm verfluchte er seine Magd; früher war sie einfältiger, aber auch höflicher gewesen.
Wie sich die Menschen doch veränderten, wenn man ihnen zu viel Vertrauen schenkte!
Graue Wolken zogen hastig am Himmel entlang. Neben ihm schnaubten leise die Pferde seiner Begleiter. Sättel, Decken und Gepäck klebten tropfnass an ihrem Fell.
Am Ende der Straße leuchtete eine Laterne, die im Wind hin- und herschwankte.
Dort sei eine Herberge, das Essen sei erträglich, die Betten brauchbar. Bis zum Ziel seien es noch einige Stunden, morgen werde man gewiss ankommen.
Müde wischte sich Gerlach das Wasser aus dem Gesicht, atmete seufzend ein.
Ein Dach über dem Kopf könne nicht schaden.
Wenn man doch nur schon dort sei.
* * *
Der eigentliche Grund, weshalb Huygens als Oberaufseher jener Anstalt viel Zeit bei den Wahnsinnigen verbrachte, lag in der Auswahl potentieller Akteure, die irgendwann einmal die Gelegenheit erhalten sollten, die einzige Schlacht als Schauspiel nachzustellen, die Huygens – als junges Mitglied der niederländischen Streitkräfte – erfolgreich miterlebt hatte.
Brown sollte darin die Rolle des gegnerischen Kommandanten übernehmen, Huygens spielte zweifellos den Anführer seiner damaligen Kompanie, in welcher er selbst damals zwar nur einfacher Soldat gewesen war, durch seinen wagemutigen Einsatz die
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