Der Widerschein
drei Wärtern, die ihm vorsorglich Hände und Füße aneinandergekettet hatten, ein Knebel steckte in seinem Mund. Die gegenüberliegende Zellentür war durch ein langes Stück Stoff verhangen. Huygens steuerte darauf zu, nahm einem der Umstehenden eine Laterne ab, schob den provisorischen Vorhang beiseite und trat ein.
Aber anstatt auf enge Mauern, vergitterte Fenster und seltsame Zeichnungen zu treffen, toste mit einem Mal unglaublicher Schlachtlärm um ihn herum. Pfeile pfiffen durch die Luft, Bajonette schlugen funkensprühend aufeinander, Pferde wieherten, stoben an Huygens um Haaresbreite vorbei, warfen ihre toten oder verletzten Reiter ab, stürzten sich in die Formation eines gewaltigen Heeres hinein. Eine Stimme schrie – vorwärts! – eine Kanone donnerte ihre Ladung heraus, schickte Feuer und Rauch in den Himmel.
Graue Wolken und eisiger Regen überzogen das Szenario, verwandelten die lieblich-grüne Hügellandschaft in eine schwarzgraue Schlammwüste, durchzogen vom Blut der Sterbenden. Weder Baum noch Strauch stand den Kämpfern im Weg: Furchtlos rückten die gegnerischen Parteien aufeinander zu, aus allen Mündungen wurden Salven abgefeuert.
Vergeblich suchte man zwischen Leichen und Verletzten Deckung zu finden; man zog sich zurück, bündelte die vorhandenen Kräfte, bildete neue Formationen und stürzte erneut in die feindlichen Linien hinein.
Ein Ende der Kämpfe war nicht abzusehen.
Huygens stand wie erstarrt. Die Schlacht! Seine eigene Schlacht, die ihm jahrelang schlaflose Nächte bereitet hatte. Er blickte an sich herunter, fand eine geladene Waffe in seiner Hand, entdeckte verdreckte Reitstiefel, Blutspritzer auf seiner makellosen Uniform, er spürte den heißen Luftzug der Geschosse in seinem Gesicht.
Unglaublich!
Einfach unglaublich!
Einige der Wärter waren Huygens in die Schlacht gefolgt. Ungeniert drängten sie sich in die Formationen, wiesen auf einzelne Personen hin oder bestaunten gewaltige Szenarien, die einfach durch sie hindurch feuerten; man streichelte anerkennend über die Kanonen, spielte mit der federverzierten Kopfbedeckung eines hoch dekorierten Hauptmanns; ja, man betatschte schamlos die hingestreckten Toten und Verwundeten, die dadurch sogleich sämtliche Tiefen und Konturen verloren, sich in flache Figuren verwandelten, die Bewegungen und Laute in einen engen Raum hineinpressten. Huygens fand sich in der Zelle wieder, starrte seine unsensiblen Angestellten – die in seinen wunderbaren Traum geplatzt waren! – erbost und zugleich panisch an, nach wie vor unfähig, sich zu bewegen oder zu äußern.
Weitere Wärter strömten herein, nur wenige warteten respektvoll auf dem Gang.
Jetzt begreife man, was der Herr Kommandant ihnen mit seinen Erzählungen sagen wolle! Solch eine Vielzahl von Eindrücken, dafür würden Worte eben manchmal nicht ausreichen.
Ein Bild sage ja nicht umsonst mehr als tausend Worte!
Eine plötzliche Stille entstand; einer der Wärter trat mit leuchtenden Augen auf ihn zu.
Für die Rolle seiner Person, Herr Kommandant, gebe es endlich einen in Frage kommenden Kandidaten: Dieser Ferdinand, der habe die Beschreibungen des Oberaufsehers so präzise erfasst, dessen Visionen so deutlich illustriert. Er selbst wolle gern in jenem Spektakel mitwirken, allerdings unter einer Bedingung: Er müsse diesem Ferdinand die Rolle des Herrn Kommandanten anvertrauen.
Huygens schwieg, sah unauffällig an sich hinunter. Weder Blut noch Schlamm bedeckte seine erbärmliche Kleidung, unter ihm glänzte matt der steinerne Fußboden – in seinen Stiefeln sammelte sich jedoch ein warmes Rinnsal, das unsichtbar seine Beine hinunterlief.
* * *
Bis auf weiteres verschloss Huygens persönlich die verwandelte Zelle, nahm den Schlüssel an sich und verstaute diesen im hintersten Winkel seiner Schreibtischschublade. Tagelang machte er einen großen Bogen um den Trakt, wo jene besondere Zelle war; er verbrachte den Großteil der Zeit in seinem Zimmer am Fenster, beantwortete Anfragen der Wärter kurz und desinteressiert, starrte über die Mauern hinweg ins Leere.
Erst bei seinem wöchentlichen Treffen mit Brown redete Huygens sich frei.
Etwas an dieser Schlacht, begann er, etwas an diesem Bild dieser Schlacht, das sei anders, geradezu unheimlich. Es sei so, als – ja, als ob ein verstecktes, furchteinflößendes Ungeheuer hinter der verwahrlosten Landschaft hause – weit hinter dem umkämpften Horizont – ein Untier, das winzige Löcher in die Bildwelt
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