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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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hineinfressen würde – ein dunkles Etwas, das langsam, aber sicher von den kämpfenden Figuren, ihren Uniformen und Waffen, und auch von ihm, Huygens selbst, Besitz ergreifen wollte.
    Huygens starrte Brown mitten ins Gesicht, ließ die angestauten Gedanken, so wie sie gerade kamen, aus seinem Mund fallen.
    Er habe seitdem das Gefühl, als ob ein Schatten über seinen eigenen Erinnerungen liegen würde. Dieses Gefühl sei derart befremdlich, dass er diesen Raum – vorläufig – nicht mehr betreten wolle.
    Am besten müsse man die Wände abbrennen; Steine und Gitter ließen sich leider nicht – oder nur mit viel Geduld und Aufwand – ersetzen.
    Den Schöpfer dieser Zeichnungen, diesen Ferdinand Meerten, den habe Huygens vorsorglich in eine Dunkelzelle sperren lassen. Zum einen, um weitere derartig teuflisch verzierte Orte zu vermeiden; zum anderen, um ihn zu bestrafen – immerhin habe er ihn in gewisser Weise lächerlich aussehen lassen. Das Gefühl sei abscheulich gewesen, so erniedrigend – Huygens sah Brown an, was hätte er sonst tun sollen?
    Sie saßen in Browns Zelle, spielten Schach; Huygens verlor.
    Es gebe Dinge, die ein Mann tun müsse – so pflege man in seinem Heimatland in solchen Momenten zu sagen. Brown sah Huygens an. Wie stehe es mit dem Gerücht, diesem eingesperrten Ferdinand besagte Rolle zu übertragen?
    Der Gefangene legte seinen Kopf leicht auf die Seite, schlug überraschend einen Bauern.
    Dies verlange einiges an Überzeugungsarbeit: Der Herr Oberaufseher werde in diesem sicherlich keinen Freund finden.
    Missmutig brummte Huygens, verzog streng die Mundwinkel, zog seinen König zur Seite; natürlich käme er für die Rolle in Frage, schon allein der Wärter wegen, die sich ja nur unter dieser lächerlichen Bedingung beteiligen würden.
    Ein solches Angebot werde er sich nicht entgehen lassen!
    Von Überzeugen könne allerdings keine Rede sein: Ferdinand Meerten werde so lange in der Dunkelzelle bleiben, bis er bereit sei, die Aufgabe ordnungsgemäß zu übernehmen und auszuführen. Dies habe er sich selbst zuzuschreiben.
    Mit seiner Erlaubnis, lächelte Brown nach einem respektvollen Moment der Stille, ließ seine Dame in die gegnerischen Reihen hineinfahren, er schlage dem Herrn Kommandanten einen anderen Weg vor, der sicher etwas einfältiger sei, aber die unangenehmen Nebeneffekte der Dunkelhaft aus dem Weg räumen würde. Er wolle bloß an den letzten Häftling in jener finsteren Zelle erinnern, der dort begonnen habe, sich selbst anzunagen.
    So etwas spreche sich nicht nur unter dem Personal herum.
    In solch einer Einrichtung hätten die Wände gewissermaßen Ohren.
    Huygens schwieg, seine Stimmung verdüsterte sich. Hilflos schob er seinen letzten Läufer an die Dame heran. Ob Brown etwa seine Methoden in Frage stellen wolle?
    Keineswegs.
    Galant platzierte Brown seine Dame so, dass Huygens sie gefahrlos schlagen konnte.
    Er biete dem Herrn Kommandanten nur an, ihm diese lästige Arbeit abnehmen zu dürfen. Mit sanfter Gewalt werde er diesen Ferdinand Meerten dazu bringen, die Rolle freiwillig zu spielen.
    Freudig überrascht schlug Huygens nach einigen Augenblicken die gegnerische Dame.
    Könne er sich darauf verlassen?
    Die Angelegenheit sei ernst.
    Die Schlacht stehe auf dem Spiel!
    Brown verzog zufrieden das Gesicht, ließ eine weitere Figur ungeschützt vortreten.
    Der Herr Oberaufseher werde selbstverständlich begeistert sein.
    Gott schütze den König.
    * * *
    Schon nach einer Woche erhielt Huygens von Brown die Nachricht, dass Ferdinand die Dunkelhaft verhältnismäßig gut überstanden habe und für das bevorstehende Schauspiel zur Verfügung stehe.
    Die Alten und Verstümmelten wurden daraufhin mit Krücken und Prothesen versehen, die Idioten mit engen provisorischen Uniformen und paarweisen Fußfesseln gebändigt – eine erste Probe auf dem Hof konnte laut Huygens von ein wenig Originalität nur profitieren.
    Sämtliche Wärter der Anstalt flankierten die Szenerie, ausreichend mit Knüppeln, Fesseln und Fangnetzen ausgerüstet, für den möglichen Fall, dass jemand aus der Reihe fiel und einen Fluchtversuch wagte.
    Um die Darsteller der feindlichen Truppen mit den nötigen Informationen auszustatten – in welche Richtung man zu fliehen hatte, wie schnell die Formation geschlagen am Boden liegen sollte, welche Worte man bei der Kapitulation zu sagen hatte – um all diese Gegebenheiten zu gewährleisten, schickte Huygens Ferdinand an die Seite von Brown. In einer der

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