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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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sei nicht die beste gewesen; jetzt gehe es ihm schon viel besser.
    Brown, sich das Blut aus dem Gesicht wischend, lächelte Huygens an. Man müsse mit den Mitteln arbeiten, die man zur Verfügung habe. Lieber sei ihm Morphium gewesen, aber er habe dank Ferdinand eine Methode entdeckt, die sogar noch besser funktioniere. Ohne Betäubung könne man die Verletzten ja nicht behandeln – das Geschrei sei unvorstellbar.
    Huygens hielt sich prustend den Bauch, das Lachen sprang von Mund zu Mund, erfasste Wärter und Patienten, selbst Brown konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
    Allein Ferdinand stand ausdruckslos und unbeweglich hinter dem verhangenen Stuhl.
    Was sei denn das für eine Methode, wenn er fragen dürfe?
    Huygens schluckte mühsam sein Lachen hinunter, wandte sich erneut dem Raum zu.
    Er, Brown, habe ihn, Huygens, sehr neugierig gemacht. Er verlange eine Präsentation.
    Seufzend kam Brown näher, trat an Huygens vorbei, stellte sich neben Ferdinand, legte eine Hand auf die Stuhllehne.
    Die Behandlung sei leider für Beobachtungen oder Präsentationen sehr ungeeignet; er könne ihm aber erklären, wie es vor sich gehe. Wichtig sei vor allem, dass man auf dem Tisch säße.
    Noch während Brown sprach, wandte sich Huygens zur Seite, hob den beim Lachen fallen gelassenen Säbel auf, trat mit vorgestreckter Waffe an den Tisch heran, deutete auf Browns Nasenspitze. Eine Präsentation, sofort! Er hoffe in Browns Interesse, nicht enttäuscht zu werden. Dann werde er den Säbel zu seinem ursprünglichen Zweck einsetzen.
    Noch während der Oberaufseher sprach, nahm Brown seine Hand beiseite, woraufhin Ferdinand das über dem Stuhl hängende Laken nach hinten zog. Ein Bild kam zum Vorschein: die hauchfeine Linie zweier Vorhänge, die voreinander hingen, eine kleine Hand lugte aus dem Spalt heraus. Unter dem Stoff drang ein schwacher Lichtstrahl hervor.
    Huygens erstarrte: Grelles Licht flutete das Zimmer, riss ihn von seinen Füßen, drang in seine Lungen ein, durchfuhr seine Gedanken, legte sich gleich einem übermächtigen Gewicht auf seine Glieder, zog ihn in eine ungeahnte Tiefe hinein.
    Noch bevor er gegen den Tisch krachte und von dort hart zu Boden fiel, hatte er vollständig sein Bewusstsein verloren.
    * * *
    Unendlich langsam drang der erste Schein der Dämmerung über den östlichen Horizont und eröffnete den Auftritt der kühlen Frühjahrssonne, die ihre Strahlen träge in die Ebene warf. Bevor das Licht jedoch Dörfer, Felder und Hütten mit rötlichem Schimmer überziehen konnte, wurde die Helligkeit von Dunst und Nebel aufgesogen und das Land in weiche, wellenartige Formen verwandelt.
    Selbst die Mauern des Gefängnisses hielten den Nebel nicht auf.
    In winzigen Schritten erklomm die undurchsichtige Wand Zinne für Zinne, fiel sanft in den weitläufigen Innenhof hinein, unter den Augen des Oberaufsehers Brown, der – in makelloser Uniform und glänzenden Stiefeln – im gegenüberliegenden Gebäude die Vorhänge seiner Dienststube vollends aufzog.
    Milchiges Licht schwappte in den Raum, umspülte die Konturen des gewaltigen Schreibtisches, hinterließ im Weiß der offen liegenden Akten zierliche Buchstaben zurück, verteilte sich zwischen den bauchigen Schachfiguren auf dem massiven Spielbrett, tropfte von der Tischkante, floss über den steinernen Fußboden, bis es schließlich vor Huygens’ nackten Füßen zum Stehen kam.
    Brown bat ihn, Platz zu nehmen. Irritiert blieb er einen Moment stehen, gab dann der Aufforderung nach, als zwei Wärter ihn brüsk auf den einzigen Stuhl drückten.
    In seiner Institution, fuhr Brown fort, knietief durch den dickflüssigen Nebel watend, gebe es drei Möglichkeiten der Unterbringung.
    Ein merkwürdiges Geräusch erklang, so, als ob Steine aufeinander prallten – Huygens sah sich irritiert um, wurde von einem der Wärter hart am Nacken gepackt, er solle zuhören, wenn der Herr Oberaufseher mit ihm rede!
    Alt, krank oder dumm. Brown sah über Huygens hinweg, trat hinter seinem Schreibtisch hervor, umrundete diesen, kleckste einige Nebelflecken in den Schatten und blickte erneut aus dem Fenster. Jedes dieser Attribute umschreibe eine der drei Möglichkeiten. Nun müsse herausgefunden werden, zu welcher Kategorie er gehöre.
    Bevor Huygens widersprechen konnte, er sei weder das eine noch das andere, ertönte erneut das seltsame Klicken, gefolgt von knirschenden und plätschernden Lauten, die vom Tisch des Oberaufsehers her kamen. Ohne den Kopf zu bewegen, ließ

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