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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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Anstrengungen das massive Haupttor auf, stürzten sich in den Rauch hinein, brachten mit der Zeit wahre Schätze ans Tageslicht. Unversehrte Bajonette, verrußte Uniformen, ja, ein lebendiges Schwein fand man in der Küche des Irrenhauses. Lösch- oder Rettungsversuche unternahmen die wenigsten; man hatte Besseres zu tun: nützliche und wertvolle Dinge vor den Flammen bewahren.
    Von den wenigen Wärtern, die sich hatten retten können, war kaum Brauchbares zu erfahren. Die beste aller Erklärungen für diese Katastrophe schien die zu sein, dass eines der Treppenhäuser – die allesamt aus Holz waren – überraschend Feuer gefangen hatte. Und da die gesamte Wachmannschaft nach der improvisierten Schlacht auf dem Hof mit dem anschließenden Tumult beschäftigt gewesen war, dazu übermüdet und unkonzentriert, aus diesem Grund hatte man das Unglück leider erst bemerkt, als schon nahezu alle Fluchtwege blockiert waren.
    Notgedrungen musste man sich immer weiter ins Gebäude zurückziehen; der Oberaufseher Huygens beispielsweise sei ohne zu zögern in den berüchtigten Krankenkeller gestiegen – wobei man bemerken müsse, dass dieser Weg geradezu ins Verderben führte, hatte man doch den dortigen Insassen mehrere Tage lang nichts zu essen gegeben – aus besagten Gründen: Man hatte einfach keine Zeit für so etwas übrig gehabt.
    Wo das Feuer begonnen hatte und wer es wohl entfacht hatte, das spielte sowohl für den Erzähler wie auch für die Zuhörer keine entscheidende Rolle.
    Gerlach war sich sicher, dass seine Helfer für dieses Durcheinander verantwortlich waren. Diese Methode hatte sich bewährt: Zur Ablenkung legte man ein kleines Feuer, vertrieb damit die Bewohner aus ihren Häusern, um so unbemerkt die benötigten Bilder zu erbeuten. Prinzipiell war es Gerlach gleich gewesen, solange die Bilder unversehrt zu ihm gelangten. Hier schien die Taktik unglücklicherweise nicht aufzugehen. Bei der Größe des Feuers war es schließlich keine Selbstverständlichkeit, dass ausgerechnet dem Künstler nichts geschah.
    Mit einem Ohr hörte Gerlach einem geretteten Wächter zu, wie leicht man sich am Wahnsinn anstecken konnte. Dann betrachtete er erneut die Flammen und das anschwellende Spektakel drumherum.
    Ein stetig wachsender Strom von Wagemutigen durchschritt das aufgebrochene Haupttor. Bewaffnet mit Tüchern vor dem Mund und Knüppeln in den Händen stürzten Männer, Frauen und auch Kinder in die Flammen, kämpften sich zu noch unerschlossenen Bereichen vor, behaupteten sich gegen brennende Idioten und langsam sterbende Alte, die hinter den Gitterstäben ihrer Zellen selbst durch den allgegenwärtigen Rauch gut zu erkennen waren.
    Schnell verbreitete sich eine Meldung, es gebe noch einen Gang, auf dem unzählige Wärter und Verletzte anzutreffen seien; eine Rettung schien jedoch ausgeschlossen, da der Großteil der Personen verwirrt und bewegungsunfähig war. Zudem begann dahinter der erwähnte Krankenkeller – man dachte mit Schaudern daran, dass diese Horde von Leprakranken es lebendig aus dem Gebäude hinaus schaffen könnte!
    In sicherer Entfernung zum Eingang bildete sich ein Lagerplatz, auf dem all diese Geschichten, Schätze und Verletzten aufgebahrt und sogleich von einer neugierigen Masse umstellt wurden. Kisten mit Branntwein gehörten zur Beute, ein echtes Federbett war dabei, aus dem Schlafgemach des Oberaufsehers Huygens persönlich!
    Ein berauschendes Gefühl, einem großen Ereignis beiwohnen zu dürfen, breitete sich aus, zauberte Lächeln und Freude in die Gesichter: Man dankte Gott für diese gewissermaßen glückliche Fügung.
    Gerlach wandte seinen Blick vom Gebäude ab und ließ ihn über den Vorplatz wandern, sah schließlich zu einem Redner, der einigen Bauern erklärte, nach welchem genialen Prinzip man in diesem Irrenhaus eingesperrt worden war.
    * * *
    Bis zum Abend verteilte sich der Rauch des Feuers über den gesamten Himmel, lockte weitere Menschen heran – angeblich war sogar ein Kriegsschiff der niederländischen Flotte auf dem Weg hierher. Ganze Dörfer waren mittlerweile angerückt: zu Fuß, mit Fuhrwerken und Flößen, in unzähligen Booten – in der Hoffnung, aus dem bereits eingetretenen Unglück wenigstens einen persönlichen Vorteil ziehen zu können, immerhin lebte man in schwierigen Zeiten; man musste nehmen, was man kriegen konnte.
    Mond und Sterne zogen auf, ein lauer Wind trieb leuchtende Wolken hinaus aufs Meer. Die Ruine glühte mild in die aufziehende Nacht hinein.

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