Der widerspenstige Planet
Kuchen!‹ Ob Heiliger oder Sünder, ob gut ob böse, jeder bekommt ein Stück ab. Der Mörder wanderte genauso ins Jenseits wie der Erzbischof. Also los, Kinder, feiert ordentlich und genießt euren Leib auf Erden, denn Geist gibt’s nach dem Tod noch genug.
Tja, und da haben sie eben ordentlich auf die Pauke gehauen. Das war die reinste Anarchie. Dann ist eine neue Religion aufgekommen, die sich ›Verwirklichung‹ nannte. Die lehrte die Leute, dass sie es sich schuldig seien, alles zu erfahren, gut und böse, schön und übel, denn das Jenseits sei lediglich eine lange Erinnerung an das, was man auf Erden getan habe. Also tu es, sagte sie, deshalb bist du auf der Erde, tu es, sonst hast du im Jenseits schlechte Karten. Befriedige jedes Bedürfnis, jeden Trieb, erforsche deine schwärzesten Tiefen. High leben, high sterben. Die ganze Gesellschaft ist völlig ausgerastet. Die richtigen Fanatiker bildeten Folterclubs und schrieben Enzyklopädien des Schmerzes, sammelten Folterarten, wie eine Hausfrau Rezepte sammelt. Bei jeder Sitzung meldete sich ein freiwilliges Opfer und das wurde dann auf die scheußlichste Weise gefoltert und umgebracht, die sie sich nur ausdenken konnten. Sie wollten das absolut Höchste in Freude und Schmerz erfahren. Und das haben sie wohl auch getan, schätze ich.«
Melhill wischte sich den Schweiß von der Stirn und fuhr etwas ruhiger fort: »Hab ein bisschen was über die Verrückten Vierziger gelesen.«
»Das merkt man«, sagte Blaine.
»Ist ziemlich interessant. Aber dann kam der große Hammer. Das Vanning-Institut hatte die ganze Zeit weiterexperimentiert. Um 2050, als die Verrückten Jahre noch in vollem Gang waren, erklärte es, dass es zwar ein Jenseits gebe, aber nicht für jeden .«
Blaine zuckte mit den Brauen, sagte jedoch nichts.
»War ein echter Hammer. Das Vanning-Institut erklärte, dass es sichere Beweise dafür habe, dass nur etwa einer von einer Million ins Jenseits komme. Der Rest, die ganzen Millionen und Abermillionen, gehe bei seinem Tod einfach aus wie Lichter. Paff! Nichts mehr. Kein Leben danach mehr. Nichts!«
»Warum?«, fragte Blaine.
»Na ja, Tom, das ist mir auch nicht so ganz klar«, sagte Melhill. »Wenn du mich etwas über Flusstechnik fragen würdest, dann könnte ich dir einiges erklären. Aber die Theorie der parapsychischen Erscheinungen ist einfach nicht mein Gebiet. Also versuch mal, mit mir am Ball zu bleiben, während ich mich da durchwühle.«
Er rieb sich kräftig die Stirn. »Was nach dem Tod überlebt oder nicht überlebt, das ist der Geist. Die Leute liegen sich seit Jahrtausenden darüber in der Wolle, was eigentlich Geist ist und inwieweit er mit dem Körper zusammenhängt und nicht. Und so weiter. Wir wissen noch nicht alle Antworten auf diese Fragen, aber wir haben so etwas wie Arbeitshypothesen. Heutzutage nimmt man an, dass der Geist ein energetisches Hochspannungsnetz ist, das vom Körper ausgestrahlt und von ihm verändert wird und ihn seinerseits verändert. Kannst du mir folgen?«
»Ich glaube schon. Weiter.«
»Soweit ich das verstanden habe, reagieren Geist und Körper aufeinander und beeinflussen sich gegenseitig. Aber der Geist kann auch unabhängig vom Körper existieren. Eine ganze Reihe von Wissenschaftlern nimmt an, dass der unabhängige Geist die nächste Stufe der Evolution sein wird. In einer Million Jahren, sagen sie, werden wir nicht einmal mehr einen Körper brauchen, höchstens vielleicht für eine kurze Inkubationszeit. Was mich angeht, so glaube ich kaum, dass diese verdammte Gattung noch eine Million
Jahre überstehen wird. Verdient hätten wir’s wahrscheinlich nicht.«
»Da kann ich dir im Augenblick nur beipflichten«, sagte Blaine. »Aber was ist denn nun mit dem Jenseits?«
»Da gibt’s also dieses energetische Hochspannungsnetz. Wenn der Körper stirbt, dann sollte dieses Netz eigentlich weiterbestehen, wie die leere Puppe, die ein Schmetterling zurücklässt. Der Tod ist lediglich der Vorgang, der den Geist aus dem Körper löst. Aber das funktioniert so nicht, und zwar wegen des Todestraumas. Manche Wissenschaftler sind der Meinung, dass das Todestrauma der Ausstoßmechanismus der Natur ist, um den Geist vom Körper zu befreien. Aber es ist zu stark und versaut alles. Sterben ist ein enormer psychischer Schock und in den meisten Fällen wird das Netz zerfetzt und völlig zerstört. Es kann sich nicht selbst wieder zusammensetzen, sondern verteilt sich überallhin – und dann ist man
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