Der Widerstand: Demi-Monde: Welt außer Kontrolle 2 (German Edition)
akademischen Tauben aus dem Sack zu lassen. Die Übersetzung von UrVölkisch A war sozusagen der goldene Schatz am Ende des vorGeschichtlichen Regenbogens.
»Wie kommen Sie zu dieser Behauptung, de Nostredame?«, wollte die Dogaressa wissen. »Soweit isch weiß, ist ohne entsprechenden Schlüssel UrVölkisch A nicht zu ergründen.«
Daraufhin zog de Nostredame an der zweiten Kordel, um den sechseckigen Sockel der Säule zu enthüllen. »Wir haben den Schlüssel, Ihre Exzellenz. Wer immer die Verse in diese Säule eingravierte, hatte den Weitblick, uns die Methode zur Entzifferung der Verse gleich mitzuliefern. Auf dem Sockel befindet sich eine altfranzösische Übersetzung der Verse, die in UrVölkisch A auf der Säule stehen.«
Jetzt konnte sich Kondratjew nicht länger beherrschen. Er brach in lauten Beifall aus, und die Versammelten schlossen sich ihm an. Es war ein weltbewegendes Ereignis. Auf einen Schlag würde es möglich sein, die Inschriften auf dem ManteLit der Großen Mauer, der Sphinx und in ExterSteine zu entziffern.
De Nostredame bedankte sich mit einer Verbeugung für den Applaus und bat um Ruhe. »Vielen Dank … sehr liebenswürdig. Und jetzt wird mein Kollege, Dr. Nikolai Kondratjew, jedem von Ihnen eine Übersetzung der fünf Gesänge auf der Säule überreichen.«
Nachdem Kondratjew die Blätter verteilt hatte, verstummte der Saal, und die Versammelten versuchten hastig, die Schriftstücke zu studieren. Als de Nostredame fand, sie hätten Zeit genug gehabt, das Wesentliche zu überfliegen, fuhr er fort.
»Ich gebe zu, dass manche Teile der Übersetzung nicht ganz eindeutig sind. Ich will jetzt auf diese Stellen eingehen. Es heißt, dass Loci das Gedicht verfasst hat, der Trickster-Gott der Mythologie in der ungewöhnlichen Schreibweise, die in der Übersetzung bewusst beibehalten wurde. Zusammengefasst handelt das Gedicht von Locis Erwachen und seiner Lust, sich an jenen zu rächen, die ihn gefangen hielten, vom Sturz der Wanen – des UrVolks – durch Liliths Machenschaften, von den Vorzeichen für die bevorstehende Ragnarök und von der Ankunft des Messias, der in diesem letzten titanischen Kampf gegen das Tier antreten wird.« De Nostredame zog erneut an seiner Pfeife, um sich zu beruhigen. »Ich werde auf eine detaillierte Analyse der verschiedenen Gesänge verzichten und nur einige Merkmale hervorheben, von denen ich glaube, dass sie von größter politischer und religiöser Tragweite sind. Lassen Sie uns mit der zweiten Seite der Säule beginnen …«
De Nostredame wartete, bis die Säule gedreht worden war. »Der Gesang auf dieser Seite lautet ›Die Erinnerten Wanen‹, und das interessanteste Detail darin ist die Erwähnung von VanaHeimr, der mythischen Heimat der Wanen – des UrVolks – und Liliths. Das Gedicht lautet:
Siehe nach innen / zum verlorenen VanaHeimr
Siehe auf den endlosen Fluss /
für das vergessene VanaHeimr
Dort lebten / die Wanen
Elfengötter / gütige Herrscher
Über die Demi-Monde.
Zugegeben, hier liegt einiges im Argen, da das Gedicht sich hartnäckig auf die Wanen als ›Zerbrechliche‹ bezieht. Trotzdem habe ich in meiner Übersetzung den akzeptierten Begriff ›Wanen‹ benutzt. En passant möchte ich noch darauf hinweisen, dass ich der Versuchung widerstehen musste, die gewöhnlichere Bezeichnung ›Atlantis‹ für VanaHeimr zu wählen. Da der Name Atlantis heute von einer gewissen romantischen Hysterie gefärbt ist, habe ich mich für die phonetische Wiedergabe des Altfranzösischen entschieden. Ich hoffe, Sie stimmen mit mir überein, wenn ich die Bedeutung dieses Gesangs hervorhebe, da hier zum ersten Mal im Kanon der UrVolk-Geschichte tatsächlich auf die Lage von VanaHeimr Bezug genommen wird. Bis jetzt galt die allgemeine Annahme, dass das Land, das als Inspiration für VanaHeimr diente, irgendwo im Großen Jenseits liegen muss und für uns verloren ist. Da wir aber angehalten werden, nach innen zu schauen, auf den endlosen Fluss, liegt dieses legendäre Land wahrscheinlich in unserer Terra Incognita, die, wie wir wissen, von einem runden und daher endlosen Radfluss umgeben ist.«
»Es gibt keinen Ort namens Vana’eimr oder Atlantis«, wandte die Dogaressa gelangweilt ein. »Der große Magier Plato aus dem Quartier Chaud erwähnte Atlantis in seinem Dialog Kritias nur, um die Studenten auf die Probe zu stellen, er wollte sagen, dass man eine idealisierte ImPuritanische Republik nicht nur als Objekt der Phantasie oder intellektuelle Spekulation
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