Der Widerstand
unwahrscheinlich, dass irgendein Flüchtling es bis dorthin schaffen würde), dann hätte er unter Umständen bemerken können, dass dieser Weg relativ häufig befahren worden war. Das war dennoch äußerst fraglich, da sie viele Stunden damit zugebracht hatten, auf einer Länge von einigen hundert Metern den Weg mit weiter oben gesammeltem trockenem Laub und Kiefernnadeln zu bestreuen. Alec hatte sich von seiner besonders künstlerischen Seite gezeigt und ein paar Tannenzweige herangeschleppt, um sie in einer – wie Dvorak ihm zugestehen musste – realistisch aussehenden Weise zu verteilen, sodass es so aussah, als sei das tote Holz tatsächlich von den umstehenden Bäumen auf die Zufahrt gefallen. Insgesamt erweckte der Abschnitt den Eindruck, als sei hier seit Jahren niemand mehr mit einem Wagen unterwegs gewesen. Solange also niemand ausgerechnet in dem Moment hier auftauchte, wenn sie die Zufahrt tatsächlich benutzten …
Was ihm dagegen deutlich mehr Sorgen bereitete, das war die Möglichkeit, dass irgendeine lokale Behörde auf die Idee kam, die Einheimischen aufzusuchen und ihnen einen Teil der gehorteten Lebensmittelvorräte abzunehmen, damit sie sie an die Bürger und die Flüchtlinge verteilen konnten, die gar nichts hatten und hungerten. Auch aus diesem Grund hatten sie den Garten dort angelegt, wo er sich befand. Sollte jemand mit offiziellem oder auch nur quasi-offiziellem Status zu ihnen kommen, würde er in der Speisekammer der Hütte einen großen, aber nicht maßlosen Vorrat an Lebensmitteln vorfinden, der zusammen mit dem Gemüsegarten gerade ausreichte, um eine zehnköpfige Familie eine Weile über die Runden kommen zu lassen. Was er aber nicht finden würde – und was ihm auch niemand aus der Familie zeigen würde –, das waren die weitaus größeren Vorräte in der Höhle.
»Wie gesagt«, fuhr er fort, »die scheinen nicht zu begreifen, wie Menschen funktionieren. Natürlich wäre es das Vernünftigste sich zu ergeben, aber wir Menschen sind nun mal nicht immer so vernünftig. Es gibt zwar bestimmt Scharen von Leuten, die sich sogar liebend gern ergäben, wenn die Shongairi ihnen und ihren Kindern etwas zu essen anbieten würden. Aber auf die Idee kommen die wohl nicht, wie?« Er schüttelte verwundert den Kopf. »Scheint so, als hätten sie noch nie was von Zuckerbrot gehört, sondern nur von der Peitsche. Offenbar hat ihnen noch keiner gesagt, dass man Menschen auch was anbieten muss, wenn man will, dass sie kooperieren. Und sie begreifen auch nicht, dass man die Leute nicht immer weiter in die Enge treiben darf, weil sie umso stärker zurückschlagen, je weniger sie zu verlieren haben. Und das erst recht, wenn man im Vorbeigehen die eine oder andere Stadt vernichtet und dabei mal eben ein paar Millionen Menschen umbringt.«
»Sind sie einfach zu dumm, um das zu verstehen?«, wunderte sich Sharon Dvorak. »Oder hat das was mit ihrer Denkweise zu tun? Begreifen sie das nicht, weil … ich weiß nicht … weil das nicht in ihr eigenes Weltbild passt? Weil das Verhalten von uns Menschen in ihren Augen keinen Sinn ergibt?«
»Keine Ahnung«, musste ihr Mann zugeben. »Allerdings gibt es genügend Menschen, deren Verhalten sogar in unseren Augen keinen Sinn ergibt, ohne dass sie sich damit rausreden könnten, zu einer anderen Spezies zu gehören. Ich könnte dir sogar einige Dutzend von unseren Politikern aufzählen, die sich auch aufführen wie von einem anderen Planeten. Soll ich mal anfangen?«
Er grinste breit, als er die Frage aussprach, und während die anderen am Tisch zu lachen begannen, schüttelte Sharon vehement den Kopf. David Dvorak hatte ursprünglich am College Geschichte unterrichten wollen, und auch wenn daraus nichts geworden war, hatte ihn die Begeisterung für das Thema nie losgelassen. Daher war es stets ein riskantes Unterfangen, wenn man ihn auf irgendeine Sache ansprach, da die ihm als Anlass ausreichen mochte, Beispiele aus der Geschichte anzuführen.
»Okay, wie du willst«, meinte er. »Aber es ist so, wie ich sage. Und wenn man mir die Erlaubnis geben würde, könnte ich sogar eine noch längere Liste von Beispielen aus der Geschichte zum Besten geben, die zeigen, wie oft Menschen Mist gebaut haben, weil sie eine andere menschliche Kultur nicht begriffen haben. Dieser Blödsinn von wegen ›Jeder muss so sein wie ich‹ hat viel zu oft ein tragisches Ende genommen. Ich finde, jeder interstellare Eroberer sollte das in Erwägung ziehen, wenn er erfolgreich sein
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