Der Widerstand
Vernichtungswerk der Shongairi.
Er und sein 35-köpfiges Team aus Partisanenkämpfern konnten von Glück reden, dass sie den Fluss lebend überquert hatten. Trotz der vollständigen Auslöschung von gut drei Vierteln der Stadt standen ringsum immer noch zahlreiche Ruinen, die nach wie vor bewohnt waren – sofern man bei den halb verhungerten Diebesbanden überhaupt von »Bewohnern« reden konnte, da sie eigentlich nur in den Trümmern nach Lebensmitteln und anderen möglicherweise brauchbaren Gegenständen suchten. Sechsunddreißig gut genährte Männer (jedenfalls im Vergleich zu den halb Verhungerten) mit unübersehbar prall gefüllten Rucksäcken hatten ein verlockendes Ziel dargestellt, auch wenn sie alle bewaffnet waren. Zum Glück war nur eine Bande von Plünderern dumm oder verzweifelt genug gewesen, einen Überfall auf sie zu wagen, was zur kompletten Eliminierung der Angreifer geführt hatte.
Aber vergiss nicht, wir haben erst einen Teil des Weges zurückgelegt, hielt er sich vor Augen.
Die schlimmsten Verwüstungen lagen inzwischen hinter ihnen, aber das Hinterland hatte womöglich noch viel Übleres zu bieten. Es war von Explosionen und Feuer verwüstet worden, vor allem in den westlichen Bereichen in Flussnähe. Von hier betrachtet sah es so aus, als wäre im Nordosten mindestens ein weiteres kinetisches Geschoss eingeschlagen, doch die Stelle lag außerhalb des Kerngebiets. Die meisten Gebäude standen noch und wirkten mehr oder weniger stabil, und die ausgebrannte See aus zerschlagenen Mauern, abgedeckten Ruinen und verwüsteten Industriegebäuden bot Raum für alle möglichen unangenehmen Überraschungen. Das war ein weiterer Grund, weshalb er beschlossen hatte, diesen Abschnitt bei Tageslicht zurückzulegen, wenn die Chancen besser standen, drohende Schwierigkeiten frühzeitig erkennen zu können.
Ushakov drehte sich zu Lieutenant Ivan Anatoliavitch Kolesnikov um, der soeben auf die Rampe kletterte. Kolesnikov war in seiner eigenen Kompanie der ranghöchste Zugführer gewesen, inzwischen stellten er und Ushakov die beiden einzigen Überlebenden des gesamten Ingenieursbataillons dar. Gemeinsam mit Sergeant Fyodor Ivanovich Belov waren sie drei die Letzten des gesamten Bataillons.
»Hm, das sieht unerfreulich aus«, sagte Kolesnikov, als sein Blick auf das Ödland östlich von ihnen fiel. »Und es stinkt.«
Ushakov nickte. Ermordete Städte, das hatte er feststellen müssen, entwickelten einen ganz eigenen Schlachthofgestank. Dieser Gestank hielt noch sehr lange an, nachdem die Menschen niedergemetzelt worden waren, die dort gelebt hatten. Die Hitze trug ihren Teil zu dem Ganzen bei. Er schätzte die Temperatur auf um die fünfzig Grad, was für Voronezh selbst in dieser Jahreszeit ungewöhnlich heiß war. Die Kombination aus Hitze und Feuchtigkeit fühlte sich an, als würden sie sich in einer Sauna aufhalten – und sie bewirkte, dass der Gestank umso stärker wurde.
»Ich habe wirklich nichts dagegen, möglichst bald wieder aufs Land zurückzukehren«, sagte Ushakov zu dem anderen Mann. »Und das nicht nur, weil es hier stinkt.«
»Ich weiß, was Sie meinen«, entgegnete Kolesnikov. »Wissen Sie, wenn ich noch hier leben würde, ich wäre längst von hier weggezogen. Bei so viel Land ringsum sollte man meinen, dass wenigstens ein paar Leute auf die Idee kommen, sich als Bauer zu versuchen, anstatt hier zu verhungern.«
Wieder nickte Ushakov. Der Boden rund um Voronezh war fruchtbar und ertragreich, und wenn die Leute, die sich hier in den Ruinen herumtrieben, mit der gleichen Energie Ackerbau betreiben würden, dann ginge es ihnen in wenigen Monaten deutlich besser, wenn die Hitze des heutigen Tages längst nur noch eine verblasste Erinnerung sein würde.
Sie werden verhungern … falls der Kältetod sie nicht zuerst ereilt, überlegte er, wobei seine Augen ausdruckslos vor sich hin starrten, da sie seit dem Tod seiner Familie allen Glanz verloren hatten. Gott allein weiß, wie der nächste Winter wird. Trotzdem würde es mich erstaunen, wenn mehr als ein Viertel dieser Leute den Frühling erlebt. Vorausgesetzt, diese verdammten Shongairi lassen überhaupt irgendwen am Leben.
Er war sich sicher, dass die Überlegung in seinem Fall gar keine Rolle mehr spielte. Auch wenn er es niemandem gegenüber zugegeben hätte – auch nicht Kolesnikov gegenüber – freute sich die gähnende, schmerzhafte Leere in seinem Inneren darauf, dass es so kommen würde. Er wollte dafür sorgen, dass so viele
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