Der Widerstand
leiser und verstummte ganz, seine Augen erfassten einen Punkt in weiter Ferne, während sein Blick auf den Leichen ruhte. Dann auf einmal kehrte er ins Jetzt und Hier zurück und sah wieder Buchevsky an.
»Trotzdem fürchte ich, hat es zu viele Jahre gedauert … Jahre, die einen zu hohen Preis von den Menschen forderten, die mir etwas bedeuteten … und denen ich etwas bedeutete. Zu viele Jahre vergingen, bis ich erkannte, dass alle Grausamkeiten des Universums nicht ausreichen, um eine verlorene Kindheit zu rächen oder um den Zorn eines verwaisten jungen Mannes zu stillen, dem so viel Leid angetan worden war.«
Abermals schaute er zu den Leichen und gab sich erneut einen Ruck, dann setzte er eine kühlere, unpersönlichere Miene auf und drehte den Toten den Rücken zu – so als würde er damit auch seiner verlorenen Kindheit den Rücken zukehren.
»Aber das hier, mein Stephen, hat nichts mit der Finsternis zu tun, die in mir steckt«, erklärte er.
»Wirklich nicht?«, gab Buchevsky zweifelnd zurück.
»Nein, wirklich nicht. Es ist offensichtlich, dass dieses Ungeziefer uns weiterhin verfolgen wird. Also geben wir ihnen jetzt etwas, worauf sie sich konzentrieren können. Etwas, das jedes Geschöpf mit brennendem Hass erfüllen wird, sogar diese Aliens. Und wir bieten jemanden, den sie anstelle Ihrer Zivilisten verfolgen können. Take wird sich mit dem Großteil meiner Männer nach Süden bewegen und dabei eine Spur hinterlassen, die so offensichtlich ist, dass nicht mal die da«, mit einer knappen Kopfbewegung deutete er auf die Gepfählten, »sie übersehen können. Er wird sie zig Kilometer von uns weglocken, dann taucht er unter und kehrt zu uns zurück.«
»Ohne dass sie in der Lage sein werden, seiner Spur zu folgen?«
»Seien Sie nicht so skeptisch, mein Freund!« Basarab lachte amüsiert und drückte Buchevskys Schulter. »Ich habe diese Männer nicht zufällig ausgewählt. Es gibt in ganz Rumänien keine erfahreneren Waldarbeiter als sie. Sie müssen nicht befürchten, dass sie den Feind zu uns führen werden.«
»Ich hoffe, Sie haben recht«, sagte Buchevsky und betrachtete noch einmal die gepfählten Leichen, während er sich fragte, wie er als Alien wohl auf diesen Anblick reagieren würde. »Ich hoffe, Sie haben recht.«
.XXIV.
Wasser umspülte Pieter Ushakovs Beine, als das Floß auf Grund stieß und er die letzten Meter bis zum östlichen Ufer durch den Voronezh watete, der den gleichen Namen trug wie die Stadt.
Er versuchte, nicht zu intensiv über die Dinge nachzudenken, die er auf dem Weg hierher auf der Wasseroberfläche hatte treiben sehen. Ein wenig half es ihm, dass er mittlerweile so viel Grausamkeit begegnet war, die ihn nahezu betäubte. Dennoch gab es immer wieder Augenblicke, in denen er sich zusammenreißen musste, vor allem wenn die Leichen so klein waren, dass er unwillkürlich vor Augen sah, wie …
Hastig hielt er sich davon ab, diesen Gedanken zu Ende zu führen, stattdessen sah er sich wachsam um, sein AK-74 einsatzbereit im Anschlag. Er hatte seine Waffe heute schon einmal benutzt, aber jetzt drohte keine unmittelbare Gefahr, und er entspannte sich wieder, wenn auch nur geringfügig.
Voronezh, Hauptstadt der gleichnamigen russischen Oblast, war im Zweiten Weltkrieg während des Stalingrad-Feldzugs Schauplatz einer erbitterten Schlacht gewesen. Nach dem Krieg hatte man sie wiederaufgebaut, und bis zum Jahr 2010 hatte sich die Einwohnerzahl auf über 800 000 erholt. Dort war auch die Staatliche Universität Voronezh zu Hause, und die Stadt war eine der weltoffeneren in Russland gewesen – nicht immer zur Freude der Einheimischen. Ausländische Studenten, die russische Universitäten besuchten, entschieden sich meistens für die Voronezh, um dort für ein paar Jahre ihre Russischkenntnisse zu verbessern. Fast zwangsläufig war es dadurch gelegentlich zu – in manchen Fällen recht hässlichen – Konfrontationen zwischen Russen und den in die Stadt strömenden Ausländern gekommen.
So etwas würde es jetzt nicht mehr geben, ging es ihm finster durch den Kopf, während er auf die Überreste der Zufahrtsrampe der weiter südlich gelegenen zweiten Brücke kletterte, die noch vor Kurzem den Fluss überspannt hatte. Solange er darauf warten musste, dass seine Männer zu ihm aufgeschlossen hatten, ließ er den Blick nach Westen wandern. Die Zerstörungen, die die Deutschen in den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts angerichtet hatten, waren nichts im Vergleich zum
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