Der Widerstand
nur noch etwas mehr als einen Monat vom Ende seines gegenwärtigen Einsatzes entfernt war, hatte Buchevsky sich längst daran gewöhnt. Außerdem war es ja nicht so, als wäre er zum ersten Mal hier. Auch wenn etliche Marines der Bravo-Kompanie das hier als die Müllhalde des Universums ansahen, hatte er in seinen siebzehn Jahren Dienst schon Schlimmeres gesehen. Siebzehn Jahre war es jetzt her, seit dieser so freundliche und so verlogene Anwerber – noch dazu ein Freund der Familie! – die Gutgläubigkeit eines leicht zu beeindruckenden Jugendlichen schamlos ausgenutzt hatte.
»Ach, wohin du überall reisen wirst, und was du alles zu sehen bekommen wirst!«, hatte der fragliche Anwerber ihm voller Begeisterung vorgeschwärmt. Genau genommen war Stephen Buchevsky ja auch viel rumgekommen, und er hatte auch viel gesehen. Und nebenbei war er nicht weniger als sechsmal im Gefecht verletzt worden. Mit fünfunddreißig war seine Ehe unlängst endgültig in die Brüche gegangen, in erster Linie wegen seiner langwierigen und häufigen Einsätze. Er hatte einen leicht hinkenden Gang, den die Physiotherapeuten nie ganz hatten beseitigen können, und die Schmerzen in seiner rechten Hand sagten zuverlässig Regen oder Schnee voraus. Nicht zu vergessen die Narbe, die von seiner linken Schläfe nach oben verlief und wegen seiner fast auf Stoppellänge gestutzten Haare auf der dunklen Haut besonders gut zu erkennen war. Aber auch wenn er sich manchmal ausmalte, sich mit »Onkel Rob« zusammenzusetzen und mit ihm über die Vorzüge zu »diskutieren«, mit denen er ihn dazu gebracht hatte, auf der gepunkteten Linie zu unterschreiben, hatte Buchevsky sich doch immer wieder aufgerafft.
Was vermutlich etwas ziemlich Krankes über meine Persönlichkeit aussagt. Außerdem wäre Dad stinksauer, wenn ich die Schuld an allem jemand anders in die Schuhe schieben würde, überlegte er, während er stehen blieb und einen Blick auf den schmalen, gewundenen Pfad tief unter ihm warf.
Bei seinem ersten Ausflug ins sonnige Afghanistan hatte er seine Zeit im Camp Rhine in der Nähe von Kandahar verbracht. Davon hatte er seinen humpelnden Gang zurückbehalten. Der nächste Einsatz führte ihn in die Nähe von Ghanzi, wo er die als A01 bezeichnete Straße zwischen Kandahar und Kabul im Auge behalten sollte. Das entpuppte sich als nicht so … interessant wie die Zeit in der Provinz Kandahar, dennoch schaffte er es, sich vom Splitter einer Rakete in den Arm treffen zu lassen, was für einen weiteren goldenen Stern auf dem Band seines Purple Heart genügt hatte (und für einige erbärmliche Witze von seinen sogenannten Freunden). Dann kamen die Polen und übernahmen Ghanzi, und so brachte ihn sein dritter Afghanistan-Einsatz zurück nach Kandahar, wo sich die Lage einmal mehr zuspitzte. Dort blieb er auch wieder, zumindest so lange, bis sein Bataillon neue Befehle erhielt. Die Situation in der Provinz Paktika – auf die die Polen zugunsten von Ghanzi verzichtet hatten, weil in Paktika einfach viel mehr los war – verschlechterte sich ebenfalls, weshalb sie dorthin verlegt wurden, um dabei zu helfen, die Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Im Augenblick befand er sich auf seinem vierten Einsatz, der ihn gemeinsam mit dem Rest des Ersten Bataillons, Drittes Marine-Regiment, Dritte Marine-Division (auch bekannt als die »Lava Dogs«) in die Provinz Helmand verschlagen hatte, wo sie Operationen der afghanischen Armee unterstützen sollten. Mit Blick darauf, wer in Wahrheit wen unterstützte, war es nach Buchevskys Meinung eigentlich genau umgekehrt. Aber so wie alle Angehörigen des US-Militärs hatte er sich längst daran gewöhnt, mit welchem Erfindungsreichtum die Ziele der jeweiligen Operationen manchmal der Öffentlichkeit verkauft wurden. In diesem speziellen Fall konnte er sogar verstehen, warum man es so und nicht anders beschrieben hatte. Und obwohl ihm das Ausmaß der Korruption innerhalb der Nationalregierung immer noch gewisse Sorgen bereitete, hatte sich die Situation insgesamt deutlich verbessert. Der Gouverneur von Helmand schien sich alle Mühe zu geben, für die Menschen in seiner Provinz sichere Verhältnisse zu schaffen, und die meisten afghanischen Soldaten, mit denen sie dieses Mal zusammenarbeiteten, machten den Eindruck, dass sie selbst auch daran interessiert waren, dass es so blieb. Das ging sogar so weit, dass sie sich in ernsthafter Feuerdisziplin versuchten. Darin waren sie natürlich nicht so gut wie die
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