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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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daß sie nicht säumen werde, mir alle Liebe zuerwidern, die ich für sie empfand. Ich sagte »Liebe« und nicht »Freundschaft« und »Zuneigung«, denn diese Begriffe aus der Feder unseres Autors dünkten mich denn doch etwas scheinheilig.
    Gleichzeitig beobachtete ich, daß der König in seinen Kissen über dem Zuhören seine Schmerzen zu vergessen schien, denn seine so beweglichen Züge verrieten von Mal zu Mal ebenso heftige Empfindungen, wie es die meinen waren. Ich faßte es kaum. Mein Vater hatte mir so viele heikle und gefährliche Situationen geschildert, aus denen sich dieser große König durch tausend und eine List gerettet hatte – manch eine davon sehr machiavellistisch –, daß ich nicht glauben wollte, es hätte in ihm genug Jugendfrische, um nicht zu sagen Naivität überlebt, um sich noch mit einem Céladon zu vergleichen, da doch seine Stellung, sein Alter und seine körperlichen Leiden ihm eine enthaltsamere Rolle zuzumessen schienen.
    Um Punkt elf Uhr wurde das Mittagessen für den König gebracht, der auf die Weise wenigstens einmal pünktlich speiste, aber im Bett und sehr wenig auf Anordnung der Ärzte: eine Gemüsebrühe, ein süßer Weißkäse, ein Apfelkompott und Wasser, das in einer verkorkten Flasche war, denn es kam von einer Heilquelle, in die Seine Majestät großes Vertrauen setzte. Bassompierre nützte die Unterbrechung, um seinen Urlaub zu nehmen, und der König fragte mich, während er aß, ob ich bereit sei, nach seinem Mahl weiterzulesen. Nun bemerkte ich durchaus, daß Seine Majestät, nachdem der Comte so gut gelesen hatte, Gleiches von mir erwartete. Diese Erwartung spornte mich an, und ich beschloß, meinen Vorgänger zu übertreffen. Bassompierre hatte als Leser gelesen. Also wollte ich als Komödiant lesen, indem ich die Betonungen wechselte und die männlichen oder weiblichen Stimmen der Figuren nachahmte.
    Zuerst überrascht, war Henri von der Belebung, die ich dem Text verlieh, bald verzaubert. Der Erfolg steigerte meine Kühnheit, und zu meiner großen Genugtuung beobachtete ich, daß er nicht der einzige war, der sie schätzte, denn das Gemurmel im Raum hörte völlig auf und wich jenem aufmerksamen und sozusagen gespannten Schweigen, das man in der Komödie erlebt, wenn das Stück gut ist. Ich las eine reichliche Stunde, ohne die mindeste Ermüdung zu verspüren, so sehr trug mich mein Erfolg, und ich wäre so fortgefahren, hättesich nicht lebhaften Schrittes Monsieur de Montespan eingestellt. Mit einer Sicherheit, die bezeugte, daß er sich nicht ungelegen wußte, ging er geradewegs auf das Bett des Königs zu und sagte ihm etwas ins Ohr. Der König erblaßte, seiner Blässe folgte ein Lächeln, und indem er sich strahlenden Auges mir zuwandte, sagte er mit kräftig belebter Stimme: »Mein kleiner Cousin, laß es für den Augenblick gut sein. Bleib aber hier. Ich will dein Lesen nicht entbehren.«
    Plötzlich setzte rund um das königliche Lager ein geschäftiges Hin und Her ein. Man brachte eine Schüssel mit Wasser, und der König spülte sich Gesicht und Hände; man kämmte ihn, was mich sehr erstaunte, da ich von meinem Vater wußte, wie sehr es ihm widerstrebte, daß man seine Haare berühre; man zog ihm sein Hemd aus, das mich tatsächlich weder sehr reinlich noch sehr schön bedünkt hatte, und ersetzte es durch ein makellos weißes Hemd, dessen Kragen und Ärmel reich mit Spitzen verziert waren; und schließlich bestäubte man ihn mit Parfüms – ihn, der doch keine mochte –, bestäubte ihm Hals, Wangen, Haare und Hände. Im Gemach herrschte während dieser Toilette tiefstes Schweigen, so ungewöhnlich mochte sie auch den anwesenden dreißig Höflingen beiderlei Geschlechts erscheinen, die, obwohl sie standen und dieses Stehen durchaus leid waren, ihren beengten Platz nicht für ein Königreich hergegeben hätten in Erwartung des großen Ereignisses, das diese Vorbereitungen ankündigten.
    »Laßt eintreten, Montespan!« sagte endlich der König mit heller Stimme.
    Ohne jede Schonung räumte Montespan nun den Eingang, indem er die Höflinge mit den Armen bis hin zur Tür nach beiden Seiten schob. Und nachdem er Platz geschaffen hatte, ging er hinaus und kam sogleich wieder, indem er mit einem gewissen Zeremoniell der Frau Herzogin von Angoulême und Mademoiselle de Montmorency vorausschritt, welch erstere einem hochbeladenen, schweren Lastschiff glich, das eine anmutige Fregatte im Schlepptau führt.
    Diese Erscheinung rief bei den Zuschauern ein

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