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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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doch auch auf mich ihre Schönheit. Und was den König anbetraf, hatte ich zwar mit großem Mitleid gesehen, wie er sich von dieser fleischlichen Falle verschlingen ließ, aber zugleich war ich sprachlosüber die Naivität, mit der er sich geliebt wähnte. Der goldene Speer schien ihm ja tief ins Herz gefahren zu sein, wenn er in solchem Maße blind war.
    Überdies wurde mein Lesevergnügen erheblich dadurch gemindert, daß der König nach einigen Minuten die Augen schloß. Zuerst glaubte ich, er schliefe, aber fast sogleich fiel mir ein, daß seine Schmerzen doch derart heftig waren, daß sie ihn zur Schlaflosigkeit verdammten. Außerdem sah ich, wenn ich ab und zu einen Blick nach ihm warf, unwillkürliche Grimassen in seinem Gesicht, die deutlich genug von seinen stechenden Schmerzen sprachen. Demnach hielt er also die Lider geschlossen, weil er zugleich den Ausdruck seines Blickes vor den Höflingen verbergen und bei sich einkehren wollte, ich will nicht sagen, um Ordnung in seine Gedanken zu bringen – leider ging es darum nicht mehr –, aber um Pläne zu schmieden, durch die er ans Ziel seiner heftigen Leidenschaft gelangen könnte. Deshalb hörte er mir sicher auch gar nicht zu, was mir jede Lust an der Lektüre nahm, und weil sich mit dieser Einsicht die Ermüdung durchsetzte, verhaspelte ich mich stellenweise.
    So versunken in seine Gedanken der König auch sein mochte, er bemerkte meine Ermüdung und öffnete die Augen.
    »Genug gelesen, Siorac!« sagte er gütig. »Gib Monsieur de Gramont das Buch. Monsieur de Montespan soll dich zum Dauphin führen und bitten, daß man dir etwas zu essen macht. Aber versäume nicht, heute nachmittag wiederzukommen.«
    Ich dankte ihm, und zog mich nach einer tiefen Verbeugung mit Monsieur de Montespan zurück, als gerade die Ärzte eintraten.
    »Meine Herren Doktoren«, sprach der König sie unvermittelt an, »für heute nacht müßt Ihr mir Opium geben. Ich will, daß mein Schlummer mich bettet und mir, wenn möglich, schöne Träume gibt.«
    Da der König mich nicht entlassen hatte, dachte ich, daß ich die Nacht in seinem Gemach auf einem Schemel verbringen müßte, zwar ohne vorzulesen, aber ohne zu essen und vor allem ohne in so unbequemer Haltung schlafen zu können. Unterwegs äußerte ich Monsieur de Montespan meine Besorgnis, aber er nahm eins wie das andere übel auf.
    »Chevalier«, sagte er mit harter Stimme, »man sieht, daß Ihr ein Neuling seid im Dienst des Königs, der sicherlich einegroße Ehre ist, aber auch Zwänge mit sich bringt, denen es sich fügen heißt. Essen, Trinken und Schlafen, Monsieur, sind für die Diener Seiner Majestät die ungewissesten Dinge dieser Welt ... Und sagt Euch nur ruhig, daß es für Euch schon ein riesengroßes Privileg war, einen Schemel unter dem Arsch zu haben. Ich, der ich doppelt so alt bin wie Ihr, stehe mir den größten Teil des Tages die Beine in den Bauch ...«
    Diese wenig hilfreichen Worte belehrten mich, daß ich für den Gardehauptmann eine Art junger Rekrut war, dem ein bißchen hartes Leben nur guttun könne, und das bestätigte sich, als Montespan mich beim Dauphin einführte, denn er vergaß zu sagen – falls es ein Vergessen war –, daß ich nichts gegessen hatte.
    Aber da ich nicht einsah, weshalb ich, nur weil ich halb so alt war wie Monsieur de Montespan, hungern und nicht schlafen sollte, flüsterte ich Doktor Héroard ein Wort über meine Verlegenheit zu, während Louis stark beschäftigt war, Madame 1 zu necken, mit der er sein Mittagessen teilte.
    Obschon ich leise gesprochen hatte, befahl Louis, der immer alles hörte, ohne es sich anmerken zu lassen, sogleich, man solle mir eine Hasenpastete, Brot, Wein und einen kleinen Backapfel bringen, und erwies mir zugleich die außerordentliche Ehre, mich an seine Tafel zu laden. Und Doktor Héroard versprach mir, falls das Opium auf Henri die erhoffte Wirkung hätte, könnte ich mit in seiner Kammer schlafen, wo er ein Bett für mich aufstellen lassen werde.
    Louis hätte mich am liebsten in der seinen gehabt, aber Monsieur de Souvré, der bereits ein wenig stirnrunzelnd zugesehen hatte, wie er mich an seine Tafel holte, sagte ihm ernst, das schicke sich nicht für ihn. Louis respektierte mit seinen acht Jahren bereits die Bräuche zu sehr, um sie zu übertreten, trotzdem beugte er sich in diesem Fall leicht verärgert und begann, Monsieur de Souvré aufzuziehen.
    »Monsieur«, sagte er mit einem spöttischen Glitzern in seinen schönen schwarzen

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