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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Interesse der Kirche verschwindet für sie vollständig das Interesse des Reiches. Also vervielfacht sich das Gezeter der Kanzelprediger, und je schriller es klingt, desto mehr stachelt es die Getreuen auf, und unter ihnen in erster Linie die schwachen, törichten und fanatischen Geister. Wollt Ihr ein Beispiel? Der Comte de Saint-Pol, der sich in Caumont allmächtig wähnt, weil es seine Stadt und weil er der Cousin des Königs ist, hat die Protestanten jüngst aus ihrem Tempel verjagt, hat sich besagten Tempel angeeignet, hat die Kanzel des Pfarrers in Stücke gehauen und den Ort des Kultes zu seinem Pferdestall gemacht. In Orléans befahlen die Gerichtsherren – und der Bischof war damit nur allzusehr einverstanden –, daß die berittene Gendarmerie ein Fräulein der reformierten Religion exhumiere, weil sie fanden, man habe sie zu nahe bei Katholiken beerdigt ... Und was den Kardinal de Sourdis angeht, so läßt er in Bordeaux die Hugenotten erpressen, seien es selbst Minister oder Edelleute, und auch er schändet Gräber.«
    »Zweifellos erregt all das große Besorgnisse um den Bürgerfrieden«, sagte mein Vater. »Und doch sind es Exzesse und von Schwachköpfen begangen, wie Ihr treffend sagtet. Der Comte de Saint-Pol ist bekanntlich ebenso verstopft im Gehirn wie in den Ohren. Und über den Kardinal de Sourdis scheute man sich bei Gericht nicht, zu sagen, man sollte ihm statt der roten Kalotte des Kardinals den grünen Narrenhut aufs Haupt setzen.«
    »Trotzdem«, sagte Pierre de l’Estoile, »wenn solche Narren Macht haben, können sie eine ganze Provinz in Blut und Feuerhetzen. In Orléans saßen schon zweihundert hugenottische Edelleute zu Pferde, um den Vogt der Gendarmerie daran zu hindern, die Hugenottin auszugraben, deren Gebeine die katholische Scholle zu besudeln drohten. Und hätte der König nicht in letzter Minute Truppen geschickt, wären an jenem Tage nicht wenige Protestanten wie Katholiken zu dem unglückseligen Fräulein unter die Erde gewandert. Haß ist ein ansteckender Wahn. Und je unglaublichere Lügen er hervorbringt, desto treulicher werden sie geglaubt. Die gelehrte Predigt eines Jesuitenpaters vergröbert sich heimtückisch in dem bösen Unfug, den die Sakristane in die Ohren des Volkes träufeln. Meine Kammerfrauen und Diener sind fest überzeugt, daß die Hugenotten an Weihnachten eine große Bartholomäusnacht für die Katholiken veranstalten werden.«
    »Dasselbe glauben auch unsere Leute«, sagte mein Vater. »Zwar habe ich hier verboten, diese Dummheiten nachzureden, aber die Sache selbst schwärt in den Köpfen und vergiftet sie weiter.«
    »Was mich bei alledem am meisten betrübt«, sagte La Surie, »ist, daß man noch nie so schlecht über den König gesprochen hat wie jetzt, ob in den Hütten, den Läden oder den Adelspalais.«
    »Aber«, sagte Pierre de l’Estoile, der sich plötzlich darauf besann, daß er ein betuchter Pariser Bürger war, »doch auch nicht ohne Gründe. Abgesehen von seinem verhurten Privatleben, nenne ich nur den hauptsächlichen Grund: um für seinen künftigen Krieg Geld zu raffen, weil der Schatz der Bastille ihm nicht reicht, erläßt der König ein Edikt nach dem anderen, und diese Edikte lasten schwer, sehr schwer auf Händlern und Rentiers.«
    Ein Echo derselben Glocke hörte ich am folgenden Tag, als Toinon uns abermals besuchte.
    Mein Vater und La Surie waren nicht zu Hause. Und nachdem meine Siesta zu Ende und Louison in ihre Kammer zurückgekehrt war, schlüpfte ich gerade in meine Hosen, als Franz bei mir klopfte und sagte, daß Toinon statt meines Vaters mich sprechen wolle, es sei dringend.
    Es dauerte nicht lange, bis ich verstand, auf welchem Fuß sie mir begegnete, denn sie war ganz Reverenz und Zurückhaltung und nannte mich bei jedem Satz »Monsieur le Chevalier«. Wiefern waren die Zeiten, als sie mich »mein schöner Schatz« nannte und sich in meine Achselhöhle schmiegte.
    Dummerweise war mir deshalb zuerst sehr beklommen zumute. Da ich mir aber sagte, daß sie mir damit mehr Weisheit bewies als ich, schickte ich mich darein, meine teuersten Erinnerungen aus Herz und Kopf zu verbannen und Toinon wenn möglich mit anderen Augen anzusehen.
    »Herr Chevalier«, sagte sie, nachdem sie sich auf meine Bitte hin gesetzt hatte, »gerne hätte ich dem Herrn Marquis selbst millionenmal Dank gesagt, daß er sich für mich bei dem Herrn Zivilleutnant verwendet hat, denn sein Einschreiten hat Wunder gewirkt. Der Herr Zivilleutnant ließ

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