Der Willy ist weg
ein Chansonnier über sein Mikrofon, »dieses gottverdammte Schwein.« Und er hob den Blick mit einer Mischung aus Wut und Trauer in den weiten, frostklaren Sternenhimmel. Dorthin war er entschwunden, der wundervoll runde, pralle, rotgelbe, schwungvoll beschriftete, McDagobertinische Werbe-Fesselballon. Alles, was auf Erden zurückblieb, war ein kniehoher, matratzengroßer Betonklotz mit einer handkurbelbetriebenen Seilwinde obendrauf. Und, eben, dieser restliche Meter Seil. Edwin Knauff hielt ihn mir hin. Ich besah mir die Schnittstelle von allen Seiten, prüfend, schweigend, holte dann eine Taschenlampe aus der Jackentasche, beleuchtete und besah sie mir ein weiteres Weilchen. Schließlich, als Ragobert schon anfing, deutlich rappelig zu werden, sah ich auf, sah ihm direkt ins Gesicht und sagte: »Papageienschnabel.«
Und er schenkte mir diesen Ausdruck nichts begreifender Verblüffung, den ich in den letzten Wochen so an ihm schätzen gelernt hatte.
»Hier«, fuhr ich fort, leuchtete mit der Lampe und deutete mit dem Finger, »sehen Sie selbst: Eine Eisensäge hätte die Drahtenden aufgefasert. Ein Bolzenschneider hätte sie in der Mitte zusammengekniffen. In beiden Fällen wäre die Schnittstelle ... unsauberer geworden. In beiden Fällen hätte es auch länger gedauert. Nur mit einem so genannten >Papageienschnabel< bekommt man einen so schnellen und so sauberen Schnitt.« Ich sah ihn an. Er hing an meinen Lippen.
»Es ist die Scherwirkung«, erklärte ich. »Womit die praktische Seite geklärt wäre. Bleibt die logistische.« Ich warf das Kabel zu Boden und stemmte die Hände in die Hüften.
»Wie konnte das überhaupt passieren? Hatte ich Ihnen nicht dringend geraten, den Ballon bewachen zu lassen?«
Er senkte den Kopf, nickte, hob ihn dann wieder und bewegte ihn ruckartig zu den beiden Gestalten, die mit allen Anzeichen von Unbehagen neben dem gelbroten Transporter mit dem weltbekannten Schriftzug warteten. Sie wirkten recht verloren auf dem großen, ansonsten völlig leeren Geviert des Saarner Kirmesplatzes.
»Meine Wachmannschaft«, bemerkte Ragobert säuerlich. Wir gingen rüber zu ihnen, und ich nahm sie in ein zähes, von viel Rumgedruckse bestimmtes Verhör. Es waren zwei ganz normale McDagobert's-Angestellte, fast noch Kids, gerade mal achtzehn, neunzehn Jahre alt. Und der Umstand, erst, ohne es zu merken, mit Klebeband über den Türfugen im Transporter eingeschlossen worden zu sein und dann noch hilflos mit ansehen zu müssen, wie der Täter seelenruhig das Ballonkabel durchtrennte und sich dann freundlich winkend aus dem Staub machte, wirkte sich nicht sehr förderlich auf ihr Selbstwertgefühl und damit, verständlicherweise, auch nicht auf ihre Auskunftsfreudigkeit aus.
Immerhin bekam ich eine recht präzise Zeitangabe -kurz nach halb sieben, kurz nach Einbruch der Dunkelheit also - und eine allererste, wenn auch vage Täterbeschreibung aus ihnen heraus. Männlich, mittelgroß bis groß, wahrscheinlich schlank, dunkler Trainingsanzug, mit Handschuhen und einer Sturmhaube maskiert, keine Angaben zum Schuhwerk. Nur um des Effektes willen leuchtete ich hinunter auf den zertrampelten Kies des Kirmesgeländes.
»Eine Sturmhaube?«, fragte ich den etwas Gesprächigeren der beiden. »Beschreib das ein wenig näher.« Ich wusste natürlich, was das war. Praktisch, die Dinger. Verhindern, dass einem beim Motorradfahren im Winter die Helmbelüftung die Stirnhöhle in einen Eiskanal verwandelt oder die Ohren in Kartoffelchips und die Nase in ein Stück Stearin, das erst bleich wird und dann ganz allmählich schwarzviolett wie durch grünes Glas betrachteter Rotwein, bevor sie sachte zu muffeln anfängt und großzügig weggeschnitten werden muss. Praktisch, echt.
»Nun, so eine Mütze zum Überziehen, halt. Schwarz. Mit rotem Rand, da, wo man durchkuckt. In der Mitte, zwischen den Augen, zusammengenäht. So, wie es die Autonomen haben. Oder die von der Hausbesetzerszene. Wenn sie sich mit den Bullen anlegen.«
»Aaha«, machte ich gedehnt. »Aber er war alleine? Ich weiß, das ist jetzt nicht so toll, das zugeben zu müssen, aber er war alleine? Nur ein Mann?« Das denkbar magerste Nicken antwortete.
»Und, hat er irgendwas gesagt? Euch bedroht? Parolen gerufen? Irgendwas?«
»Ja. Bevor er verduftet ist, hat er noch Wohnraum statt Fast Food!< gerufen.«
»Das war ein Glückstag für uns«, sagte ich zu Edwin Knauff. Er hatte seine beiden Nachtwächter weggeschickt, und auch wir standen im
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