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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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an der Kette, mit der der Ausbilder ihn hielt.
    »Ihr seid durchnummeriert?«, fragte ich. »Mit dir als Eins und ihm da draußen als was? Nummer Zwei?«
    Wolf schüttelte den Kopf. »Nur der Nachwuchs«, entgegnete er. »Eine der kleinen Ideen von Nagold.« Er sah mich an, als erwarte er eine Frage, doch ich nickte nur knapp. >Nagold< war der Name einer Bundeswehrkaserne, in der es zu besonders auffälligen Rekrutenschindereien gekommen war. >Der Schleifer von Nagold< ging damals durch die Presse und landete, meine ich, sogar vor Gericht. Muss unwiderstehlich gewesen sein, sich diesen Namen anzueignen.
    »Ist halt der Ansicht, man müsse sie erst brechen, um gute Kämpfer aus ihnen zu machen.« Wolf stieß Luft und Rauch durch die Nase. »Ich warte einfach mal das Ergebnis ab«, meinte er gleichmütig, obwohl man spürte, dass es ihm gegen den Strich zu gehen schien.
    »Und ihr anderen, im Laufschritt, marsch!« Nagold stand da, Kampfanzug makellos, Halstuch frisch gebügelt, Haarschnitt wie alle hier, nur einen Tick ... eleganter, irgendwie. Er liebte es offensichtlich, seine Stirnlocke in die Augen fallen zu lassen, wenn er auf halb verstohlene Weise an seiner Zigarette sog, und genauso, sich anschließend mit einem graziösen Kopfschwung wieder klare Sicht zu verschaffen. Hätte man ihn gefragt, als was er sein Grinsen beim Herumkommandieren bezeichnete, er hätte vermutlich >sardonisch< geantwortet. Ich dachte kurz darüber nach, was ihm zur Vollkommenheit fehlte, bis es mir aufging: Es war ein Monokel. Ja, das und ein >von< vor dem Namen.
    Er und Wolf mimten, jeder auf seine Art, BBC-NaziStereotype.
    Wolf machte das Frontschwein, die Kampfmaschine, die nur durch eine Überdosis der eigenen Medizin zu besiegen sein würde, und Nagold gab den sadistischen Schöngeist. Den Nazi-Aristokraten, der in Gefangenschaft mit Häme auf die zivilisierten Verhörmethoden der Briten reagiert und sich schließlich dem ihn erwartenden fairen Prozess und letzten Endes nur gerechten Standgericht durch eine heimtückisch verborgene Zyankalikapsel entzieht.
    »Sag mal, Zweiundzwanzig, kann es sein, dass du schwul bist?«, ließ er seine metallisch klingende Stimme über das ganze Gelände erschallen.
    »Jetzt geht das wieder los«, murrte sein Präsident neben mir.
    Zweiundzwanzig, ein rotwangiger Bubi mit der Art von Figur, die einem die Küche einer übervorsorglichen Mutter einbrocken kann, blieb irritiert stehen, erblühte zu einiger Röte und salutierte ungelenk.
    »>Klein machen<«, nennt er das. Also, ich weiß nicht.«
    Man merkte Wolf an, dass er körperliche Ertüchtigung, Ausbildung an der Waffe und grundehrlichen Kameradschaftsgeist nach wie vor für das klassische Dreibein zum Schmieden einer Truppe hielt.
    »Wer hat etwas davon gesagt, dass du stehen bleiben sollst, Zweiundzwanzig? Und hopp, schön weiterlaufen. Siehst du, genau das meine ich: Du läufst wie ein Schwuler. Und wenn du den Mund aufmachst, redest du wie ein Schwuler, und manchmal meine ich sogar, du denkst wie ein Schwuler. Und du, Einunddreißig, siehst mir so aus, als ob du am liebsten seine Hand halten würdest.«
    Einunddreißig, den gerade noch das Lachen angekommen war, zog eine straighte Miene und bemühte sich sichtlich um einen heterosexuellen Laufstil.
    Wie viel angenehmer ist es doch, ein Stormfucker zu werden, dachte ich. Ein Jahr Bier holen und Charlys Moped putzen und dann noch eine wüste Party und du darfst die Farben tragen. Da fiel mir etwas ein.
    »Wer sind eigentlich die beiden Typen, wegen denen ihr mit uns in den Krieg ziehen wolltet?«, fragte ich.
    »Waren«, kam die Antwort, halb bitter, halb zufrieden. Knapp und viel sagend und es der Deutung überlassend, ob die beiden nur in ihrer Funktion als Ironheads aufgehört hatten zu existieren oder generell, gänzlich. Ich wollte nach Einzelheiten fragen, doch Wolf kam mir zuvor.
    »Nun mach schon dein Maul auf«, forderte er und goss die Gläser voll. Mit dem Klaren. »Du bist doch nicht ohne Grund hier aufgetaucht«, fügte er hinzu und gab noch einen kleinen >Blubb< frischer Cola in jedes Glas. Hob seines kurz auf Augenhöhe, sagte >Prost< und nahm einen ordentlichen Schluck. Ich rührte meins nicht an. Es gibt eine Zeit, einen Ort, eine Gesellschaft, ein Getränk. Hier stimmte nichts davon.
    »Also pass auf«, sagte ich. »Machen wir es kurz: Ihr rückt unseren Willy wieder raus, und zwar sofort, und ich sehe anschließend zu, dass ich meinen Einfluss auf Heiko geltend

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