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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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luftigen Beobachtungspostens zu bilden.
    Ich räusperte mich noch mal. Etwas lauter als vorher. Wolf pfiff wieder dieses Lied, taub für meine kehligen Äußerungen. Der Kopf der Axt verschwand mittlerweile bei jedem neuen Schlag zur Gänze aus meinem Blickfeld, das hieß, er musste schon einen ordentlich tiefen Keil hineingehackt haben, in die einzige Stütze dieses meines hohen Sitzes.
    Ich sagte: »Also gut.«
    Also gut wie in: >Also gut, ihr habt mich gefunden.< Oder: >Also gut, ich sehe es ein.< Oder: >Also gut, zweijeieinhalb Promille sind ein bisschen über dem gehesetzlichen Lihimit, ababer .. .<
    Wolf hielt inne, stützte sich auf sein Werkzeug, puffte große Wolken Atemluft. Ohne zu mir hoch zu sehen, sagte er: »Das ist der einzige Baum im gesamten Umkreis, von dem aus man unser Camp halbwegs getarnt und halbwegs bequem observieren kann. Ich wollte ihn schon lange fällen.«
    Möglichst geräuschlos tastete ich meine Taschen nach allem, nach irgendetwas von Gewicht ab, ließ schließlich mein Schlüsselbund, mein Taschenmesser, mein Feuerzeug und sämtliches Kleingeld in die Thermoskanne gleiten, schraubte sie zu und wickelte das Fernglas mit seinem eigenen Riemen daran fest.
    »Dann können wir auch die Videokamera wieder abmontieren, die wir extra auf diesen Baum hier ausgerichtet haben.«
    Ich sollte jetzt wohl nach der kleinen, glänzenden Linse Ausschau halten, doch ich war abgelenkt.
    Sachte streckte ich meinen Arm aus und platzierte das Bündel aus Kanne und Fernglas möglichst exakt senkrecht über Wolfs halb rasiertem Skalp. Und ließ los.
    Wolf machte einen Schritt beiseite.
    »Ich zeig dir den Film mal«, sagte er, als Kanne und Fernglas vor seinen Füßen auf dem Waldboden aufschlugen und ich mir eins mit der Faust vor den Schädel gab. »Fängt ein bisschen schleppend an«, meinte er und sah das erste Mal hoch, »aber das Ende wird spektakulär.«
    Und tschuck, tschuck, tschuck. Mir war, fiel mir auf, gar nicht mehr kalt. Und auch nicht mehr steif. Rasch ließ ich das Seil herab und glitt vorsichtig von meinem Ast. Ich hätte den Scheiß-Schlafsack noch abstreifen sollen, doch dafür war es jetzt zu spät.
    Tschuck tschuk tschuck tschuck tschuck. Ein erster leichter Ruck ging durch den Baum. Noch am Ast baumelnd, wickelte ich mir das Seil als Bremse um den Arm und begann einen eiligen Abstieg.
    Tschucktschucktschuck und KNACK!! Blitzartig, ohne weitere Vorwarnungen, gab die Kiefer nach und knickte mit pfeifendem Rauschen zu Boden. Polyesterflocken stoben aus meinem Ärmel, als ich mich noch während des Sturzes weiter abseilte.
    Der Aufprall war erwartet hart, wurde aber gemildert durch den Umstand, dass ich mich gleichzeitig senkrecht und, durch die Fallbewegung des Baums, seitwärts bewegte. Ein Ast peitschte mich, und dann überschlug ich mich ein paar Mal und kam, wie sollte es anders sein, in den Brombeeren zu liegen. War doch gut, den Schlafsack angelassen zu haben, sagte ich mir, mal wieder um eine Erfahrung reicher. Kiefernnadeln spuckend befreite ich mein an ungefähr achtzig Dornen hängendes rechtes Ohr, schälte mich aus dem Sack und überprüfte rasch, ganz wie nach dem üblichen Motorradcrash, meine Pelle auf Löcher, mein Gebein auf Brüche und mein Nervenkostüm auf möglicherweise gekappte Verbindungen. Als allererste Maßnahme knibbel ich immer mit den Zehen. Wenn das geht, weißt du, der Rest ist halb so schlimm. Es ging. Es ging ganz wunderbar. Atmen fiel ein bisschen schwer, irgendwo zwischen Schulterblatt und Wirbelsäule war ich auf einen Stein oder sonst was Hartes gefallen, doch ansonsten schien ich am Stück zu sein. Also stand ich auf.
    Wolf war blass. Sehr, sehr blass. Wäre wohl jeder, mit 'ner guten Tonne Holz auf dem Fuß.
    Ich beugte mich über ihn, sah ihm ernst in die Flaschenböden und sagte: »Die letzten Schläge macht man am besten von der Rückseite her. Dann fällt einem der Stängel auch nicht auf die Gräten.«
    Platt auf dem Rücken liegend, atmete er gleichmäßig, wenn auch deutlich schneller als gewöhnlich und durch zusammengebissene Zähne hindurch. Ob er meine Tipps mit Dankbarkeit aufnahm, war unmöglich zu sagen.
    »Wo ist unser Willy?«, fragte ich beiläufig und wischte und pustete ein paar Krümel und etwas Staub von dem Stammende über Wolfs Fuß. Wie man das so macht. Bevor man sich draufsetzt.
    »Pass auf«, presste Wolf hervor. »Lass uns auf einen Deal einigen. Ich sage dir, was ich über euren Willy weiß, und du rennst los und holst

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