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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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heute, beinahe entspannt. Sie schienen sich sehr sicher zu fühlen. »Könnt ihr haben.« Klack/Tuuut. Langsam legte ich den Hörer auf die Gabel. Hass wühlte in meinen Eingeweiden wie ein Aal.
    Ich ging wieder zurück in die Küche. Die Stimme am Telefon hatte geklungen, als ob wir mit all unseren Nachforschungen noch nicht mal nahe gekommen wären.
    Wir mussten den Druck erhöhen. Wenn uns Nachfragen nicht weiterbrachte, mussten wir observieren.

Kapitel 4
    Ich habe so ein Ding mit meinem Anfangsverdacht. Es ist fast wie ein Aberglaube. Oder, anders gesehen, so was wie ein Fixpunkt. Mein Anfangsverdacht ist das, worauf ich zurückfalle, wenn alles andere nichts gebracht hat.
    Ich hatte Scuzzi um etwas zum Wachhalten gebeten, und als ich bereit war, loszuziehen, drückte er mir eine Thermoskanne in die Hand, deren bräunlicher Inhalt roch wie aufgebrühter Kompost. Ich hatte etwas in Pulver- oder Pillenform erwartet und zog ein entsprechendes Gesicht. Enttäuschung wegen nicht erfüllter Erwartung, Misstrauen betreffs Wirkungsgrad und -weise des dargebotenen Ersatzes und allgemeine Zweifel an der geistigen Gesundheit des Anbieters. So ein Gesicht zog ich.
    »Guarana«, erklärte Scuzzi. »Das ist was ganz Neues. Zumindest hier bei uns. Kommt aus dem Urwald.«
    »Ah«, sagte ich. Ich hatte mich von Kopf bis Fuß in Armee-Tarnfarben gekleidet und mir sogar das Gesicht in Dunkelgrün gefärbt. Sollte das Dschungelgebräu etwa eine Ausdrucksform sein von Scuzzis vermeintlich hoch entwickeltem Sinn für Ironie? Eine Sekunde dachte ich darüber nach, wo ich es ihm hinkippen sollte. In den Kragen? In die Anlage, aus der das unfassbar schlichte Geschrammel von Status Quo drang? Der Mann hat alle ihre Platten. Fünfzehn, sechzehn Stück, eine pro Jahr, so sicher wie Urbi et Orbi. Und alle von hinten bis vorne voll mit dem einen, dem einen einzigen, immer gleichen Gitarrenriff. Manchmal frage ich mich, ob es nicht ein Zeichen von Mitgefühl und Barmherzigkeit wäre, meinen Freund Pierfrancesco ein für allemal aus seinem Elend zu erlösen.
    »Das Zeugs hält dich die ganze Nacht wach, gleichmäßig und am Stück, glaub es mir einfach.«
    Also gut. Pierfrancesco Scuzzi mag nichts von Musik verstehen, doch was Drogen angeht, kann man seinem Urteil normalerweise blind vertrauen.
    »Echt. Es ist so gut, dass ich groß damit einsteigen wollte«, sagte er noch. »Bis ich erfuhr, dass es, stell dir vor . dass es gar nicht illegal ist. Tsä.«
    Ich ließ Deliah bei ihm zurück (noch etwas, wo man ihm normalerweise vertrauen konnte, wenn auch nicht gerade blind), zog mir den Helm über und kickte die XS an. Fuhr sie vorher schon nicht so toll, so war sie jetzt, mit der krummen Gabel, regelrecht störrisch zu bewegen. Dafür ließ sie sich leichter im Gebüsch verstecken als ein Auto, und ein dunkelgrün gefärbtes Fahrergesicht fällt unter einem Helm auch generell weniger auf als am Steuer eines gelblichen Transporters ohne Scheibe vorne. So langsam, wollte mir scheinen, musste ich bei meinem Fuhrpark mal bei.
    Es fröstelte. Ganz allgemein und mich im Besonderen. Aus 5 Grad am Tag war ein knackiger Nachtfrost geworden, der Dunst in der Luft zu Reif kristallisiert und hinabgesunken. Kalt dabei, frostig halt.
    Glitzernd unter einer dünnen Decke rauen Reifs lag das Camp zum Eisernen Kopf zu meinen Füßen, in einigem Abstand, was Höhe anging, wegen der besseren Überschaubarkeit, und auch Weite, der misstrauischen Wachhunde mit leichtem Schlaf wegen. Die Krone einer Kiefer diente mir als Nachtasyl und Aussichtsturm und Tarnung zugleich, waren die umgebenden Bäume in ihrer winterlichen Entlaubung doch recht ungeeignet, einen heimlichen Beobachter vor feindlichen Blicken zu schützen, olivgrün oder nicht.
    Ruhig war's, und kalt, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte. Lausig, trotz der Windstille. Mit dem Arsch auf einem Ast balancierend, dicht an die harzige Borke des schlanken Stammes geschmiegt, war es schwierig, sich warm zu halten. Füße vertreten ging schon mal gar nicht. An dem Strick, mit dessen Hilfe ich mich hier hoch gehangelt hatte, holte ich meine zu einem Bündel geschnürte Ausrüstung hoch: Schlafsack (Bundeswehrmodell mit der berühmten, alle Anforderungen in ihr Gegenteil verkehrenden Funktionsweise: In Sommernächten unerträglich, brütend heiß, im Winter dagegen oftmals kälter als die umgebende Außenluft, dafür aber mit Ärmeln, was unter Umständen recht praktisch sein kann), Fernglas, Scuzzis

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