Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
Dschungelkompostaufguss.
    Einen Gefangenen muss man bewachen, füttern, mit dem Nötigsten versorgen. Eine Geisel muss man irgendwo wegschließen, wo Nachbarn keinen Verdacht schöpfen. Und selbst wenn man so ideale Voraussetzungen hat wie ein mit einem Palisadenzaun umfriedetes, im Mondlicht ein wenig an ein antikes Römerlager erinnerndes Camp, so muss man doch Sorge dafür tragen, dass Besucher und Nichteingeweihte keinen Wind von der Sache bekommen. Kurz, sie würden Willy kaum in der >Haselnuss< eingesperrt halten. Sondern wenn, dann in einem der vielen Schuppen oder von mir aus auch Zwinger, die über das Gelände verteilt waren. Und selbst falls man die Geisel in einem Erdloch festhält und hungern lässt, muss man sich doch etwas einfallen lassen, um das geforderte Lebenszeichen zu fabrizieren. Deshalb hockte ich hier wie ein Affe im Geäst.
    Die >Haselnuss< war in Betrieb, doch es schien ein eher ruhiger Abend zu sein. Im Licht, das durch die Glasfront nach draußen fiel, parkten ein Gespann und zwei Solomaschinen - alles BMWs - sowie ein Taunus mit Barockschnauze in mattem Schwarz mit einem großen weißen Stern auf der Fahrertüre.
    Gläserklirren, Männerstimmen, gelegentliches raues Lachen, dumpfe Bässe im Marschmusiktakt, ab und zu ein kurzes, resignatives Jaulen aus einem der Zwinger war alles, was an Geräuschen bis zu meinem Baum drang.
    Sie würden sich beraten, doch kaum alle Mann hoch. Wenn, dann gab es nur einen kleinen Zirkel Eingeweihter, und zu denen müssten im Grunde alle >internen< Ironheads gehören. Sie würden sich also beraten, wie ein geeignetes Lebenszeichen auszusehen habe, und dem guten, alten Polaroid-Foto mit >BILD<-Schlagzeile vor der Brust würde nur schwer zu widerstehen sein. Größtmögliche Aktualität verlangte im Grunde die BILD von - mittlerweile - heute, was für mich abwarten bis zum Morgen bedeutete. Dafür Scuzzis aufgebrühtes faules Laub. Ich konnte nur hoffen, dass es wirkte. Schmecken tat es jedenfalls wie eine mittelalterliche Kur gegen die Beulenpest.
    Wollte man andererseits das Lebenszeichen schon heute früh in der Post haben, würde es die Zeitung von gestern tun müssen, dann rasch das Bild gemacht, eingetütet und zur Hauptpost gefahren. Dazu würde man dann wohl aber erst mal rasch die Externen nach Hause schicken.
    Und darum war ich jetzt schon hier, statt erst im Morgengrauen. Ich wartete auf ein bisschen Bewegung da unten im Camp, ein bisschen Action. Heimliches Gemurmel, konspiratives Herumgeschleiche, Taschenlampen, Schlüsselrasseln, Fotoblitze hinter vergitterten Kellerfenstern oder schlecht schließenden Blendläden. Ich wartete und wartete. Irgendwann verabschiedeten sich die letzten Gäste der >Haselnuss<, ohne erkennbare Hast, pissten unter sinnentleertem Gelaber noch mal irgendwo gegen, starteten dann ihre Motoren, knallten die Türen des alten Fords und entfernten sich unter dem üblichen Getöse aufgebohrter oder abgerosteter Auspuffanlagen. Danach wurde das Rolltor zugezogen, eine letzte Patrouille zog ihre Runde, mit an kurzen Ketten keuchenden Kampfhunden, dann wurden die Vierbeiner weggesperrt, und zu guter Letzt sperrten sich die Zweibeiner selber weg, und das gesamte Gelände fiel ins Dunkel.
    Dunkel wurde es. Und still. Und kalt. Arschkalt. Ich zog mir den Bundeswehrschlafsack über, fummelte die Arme in die Ärmel, muckelte mir den Rest so gut es ging um die Beine, und fast augenblicklich schien es noch kälter zu werden.
    Ich versuchte, wie man das so macht, aus verstohlen gerauchten Zigaretten etwas Wärme zu ziehen, aus dem galligen Inhalt der Kanne. Vergeblich, wie man sich denken kann. Thermoskannen, will mir manchmal scheinen, sind so konstruiert, dass sie Heißgetränke für etwa den Zeitraum wirklich heiß halten, den man mit einem offenen Behälter, einer Tasse etwa, auch hinbekäme, und von da ab dann schlagartig und für immer lau.
    Als der Morgen endlich graute, war ich so steif gefroren, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich jemals wieder von dem Baum runterkommen sollte.
    Meine einzige Chance schien mir, sanft einzunicken und der Schwerkraft den Job zu überlassen, doch Scuzzis Buschdoktorbrühe hielt mir die Döppen offen wie versprochen. Wie ein Hammerhieb auf den Daumen.
    Die Wachmannschaft drehte ihre Runde, öffnete das Rolltor und bezog Posten. Wovon lebten die? fragte ich mich, nebenbei. Stütze, wahrscheinlich, antwortete ich mir, nebenbei.
    Ein grüner Ex-Polizei-Transit nahte, rollte ungehindert durchs Tor,

Weitere Kostenlose Bücher