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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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kam zum Stillstand. Ein Häuflein olivgrüner Rekruten mit Knobelbechern an den Füßen und Gewehrattrappen aus Holz in den Händen kletterte heraus und stand eine Weile fröstelnd herum.
    Allmählich machte ich mir wirklich Sorgen. Alles an mir war - Nein, noch mal.
    Alle meine Glieder waren - Noch mal. Arme, Beine, Hände, Füße, alles war steif. Vor Kälte. Ich kam mir vor wie paralysiert. In acht Metern Höhe. Hoffnung auf wärmende Sonnenstrahlen wollte sich nicht recht einstellen. Nicht mit einer Wolkendecke wie dieser.
    Ein Knall lenkte mich ab.
    Mit einem Knall flog die Türe zur >Haselnuss< auf, Nagold, der sardonische Ausbilder von neulich, erschien in ihrem Rahmen, Springerstiefel, Kampfanzug, weißes Halstuch, selbst seine Gerte hatte er wieder dabei, ehrlich, es fehlte nur das Monokel, baute sich auf der obersten Stufe breitbeinig auf, verschränkte die Arme vor der Brust, und kaum hatte sich das fröstelnde Häuflein von Rekruten in einer Reihe postiert, da schallte auch schon das erste, fröhliche »Und hopp!« über den Hof.
    Die Rekruten begannen ein Lauftraining, während Nagold zu den Zwingern rübermarschierte. Gespannt hielt ich mir das Fernglas mit klammen Pfoten ans Geschau. Hunde. Er kümmerte sich um die Hunde. Schaufelte Futter aus einem Papiersack in Näpfe, verteilte sie unter Kläffen, Japsen, Heulen und Jaulen (von Seiten der zu Fütternden) hierhin und dahin, holte schließlich das große, mit einer Mähne behangene Biest von einem Schäferhund aus seinem Verschlag, legte ihm Maulkorb und Leine an und zog los, seine Rekruten anspornen.
    Hm.
    Ich ließ das Fernglas sinken. Kein Frühstückstablett, keine BILD-Zeitung, keine Sofortbildkamera. Erst da bemerkte ich, dass eine Gestalt das umzäunte Gelände verlassen hatte und sich zwischen den Bäumen hindurch näherte. Auf der Schulter eine - Axt. Die Gestalt umrundete den silbernen Stamm einer Buche, und ich erkannte, wer es war. Mein Freund mit den verschiedenfarbigen Augen. Wolf, von allen Genossen dieser Zeit.
    Zu all den durch Froststarre gehemmten Bewegungen stellte ich jetzt als einzigen Zusatz noch das Atmen ein, während Wolf, ein Liedchen pfeifend, unter meinem Baum vorbeikam. Und weiterstiefelte durch das Laubwerk, das Buschwerk. Ohne aufzusehen.
    Pfeifend verschwand er aus meinem Blickfeld.
    Ich kannte das Liedchen, fiel mir auf. Es war >Ja mir san die lustigen Holzhackabuam<.
    Mitten im >Holloridiie<-Teil brach es ab.
    »Nanu, ein neuer Busch?«, hörte ich Wolf fragen, mit, wie ich fand, ziemlich dick aufgetragener Überraschung.
    »Seit gestern gewachsen?«, fragte er weiter, im gleichen Volksbühnen-Tonfall. »Und mitten auf meinem liebsten Spazierweg? Na, das geht aber nicht!«
    Ich zählte zwei, drei, vier wuchtige Hiebe. Es klang, wie geahnt und befürchtet, nicht nach knackendem Buschwerk. Sondern eher wie Blechwerk. Wie knickendes, beulendes, reißendes Blechwerk, und nach splitterndem Glaswerk klang es dann auch noch.
    »Ach du jeh!«, hörte ich dann, mit reichlich übertriebenem Bedauern. »Da war ja noch was drin, in dem Busch! Sieht aus wie - sah mal aus wie - ein Motorrad! Eijei, der Scheinwerfer, dujeh, der Tank! Und das Rücklicht und die Armaturen und das vordere Schutzblech! Ja so ein Pech aber auch! Wem mag die Maschi- das Wrack wohl gehören? Was für ein sträflicher Leichtsinn, es gerade hier zu parken. Wo doch jeder weiß, dass dies unser Holzeinschlaggebiet ist!«
    Mit jedem Wort kam die Stimme näher, bis Wolf wieder unter meinem Baum auftauchte. Axt auf der Schulter.
    »Was hatte ich denn eigentlich vorgehabt?«, fragte er sich selbst und rieb sich mit großer Geste nachdenklich das Kinn.
    »Ah, ja«, fiel's ihm wieder ein. »Baum fällen«, sagte er, sichtlich erfreut, dass es ihm wieder eingefallen war. Nahm die Axt von der Schulter und trieb sie ohne ein weiteres Wort in den Stamm der Kiefer, dass ich den Hieb bis in den Hintern spürte.
    Ich dachte so was wie: Ah, Moment mal.
    Tschuck, tschuck, tschuck machte die scharfe Schneide. Mit jedem zweiten Hieb flog ein Stück Holz im Format von einem Pfund Gouda durch die Gegend. Ich räusperte mich verhalten.
    Wolf reagierte nicht. Er führte eine saubere Axt, dass musste man ihm lassen. Große, gleichmäßige Schwünge, zielgenau, in einem schönen Rhythmus. Hellgrau stieg sein Atem in ständig neuen Wölkchen in die Morgenluft. Keilförmige Baumsegmente begannen sehr rasch, einen gelbroten, aromatisch duftenden Halbkreisbogen um das Wurzelende meines

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