Der Willy ist weg
und sie schenkte mir einen Blick voller Behaglichkeit, in dem die Antwort mitschwang, dass sie keineswegs haaren müsse, es ihr aber allerhöchstes Vergnügen bereite, vor allem im Bett.
»Unsere Wege«, prophezeite ich ihr und stemmte mich aus den Laken, »trennen sich in Kürze. Und zwar, wie es aussieht, für immer.«
Damit schlurfte ich in Unterhose in die Halle und begann den Tag mit dem ersten von hunderttausend Telefonaten: »Schwester Deliah hat Urlaub«, erfuhr ich und nickte mir eins. Irgendwann schreibe ich mal ein Buch über die völlig verkannten, nützlichen Seiten von Schlafstörungen.
Auch mein nächster Anruf brachte mich nicht an das angepeilte Ziel, und wieder ohne jede Überraschung für mich.
Diese Stunden in dunkler Abgeschiedenheit, ohne Kommunikation, ohne Zerstreuung, Ablenkung, bieten die Chance, den Geist neu zu ordnen und eine hohe Konzentration des Denkens herbeizuführen.
Entschlossen hängte ich ein, ging hin, zerrte Scuzzi aus dem Bett und hielt ihn an, mit D.O. genauso zu verfahren. Ich hätte es andersrum machen können, ja, tatsächlich wäre D.O.'s Zimmer sogar näher gewesen als das von Scuzzi, aber wenn ich einmal einen Zustand hoher Konzentration erreicht habe, gibt es für fast das gesamte Wie und Warum meines Handelns seine Gründe.
»Aber Kristof hat gesagt, dass es wichtig sei«, hörte ich Scuzzi protestieren, während ich die Tasten meiner Schreibmaschine bearbeitete, »und ein Tritt in den Bauch war wirklich genug, mich zu erinnern, dass du nicht gerne geweckt wirst, D.O. Vielen Dank auch, du hättest mich nicht obendrein noch zu würgen brauchen.«
Ich tippte den Brief zu Ende, kopierte Willys krakelige Unterschrift, schrieb einen Namen und eine vollständige Adresse auf den Umschlag, faltete den Brief hinein und drückte ihn, in der Küche, Scuzzi in die Hand.
»Sieh zu, dass du ihn persönlich übergibst«, sagte ich.
»Und lass dich auf gar keinen Fall abwimmeln.«
»Und wozu soll das gut sein?«, fragte er.
»Ich habe diese Briefmarken-Spielchen satt. Ich will wissen, wo Willy steckt. Ob in Holland oder in Luxemburg oder, wie ich vermute, irgendwo hier in der Gegend. Und auf diese Art kriegen wir es hoffentlich raus.«
Scuzzi nickte.
»Und wozu hast du dann mich aus dem Bett geholt?«, grollte D.O., der Cornflakes und Milch auf eine Art schaufelte, die unweigerlich Erinnerungen an diese Schulausflüge zu landwirtschaftlichen Betrieben weckte.
»Du fährst ihn.« Speziell an die Fütterungsvorgänge.
»Wohin?« Und da insbesondere die des so genannten >Borstenviehs<.
»Hamburg«, antwortete ich. »Und ihr müsst schon heute Nachmittag zurück sein.«
Er nickte, als wäre das nichts. D.O. hatte das schnellste Motorrad von uns allen, eine Tausender Kawasaki, und er steuerte sie durch den Verkehr wie ein Bowler seine Kugel durch die Kegel.
Nach einem Blick auf seine Armbanduhr wischte er sich mit dem Ärmel großflächig übers Kinn, sagte »Dann los!«, stand auf, zog den ob der Eile und ob eines noch nicht fertig eingenommenen Frühstücks protestierenden Scuzzi mit sich, und keine zwei Minuten später hörte ich vor dem Haus die Kawasaki aufbellen und sich Augenblicke später heulend entfernen.
Ranziger Käse auf schalem Toast, runtergespült mit abgestandenem Kaffee, und das, während ich mich anzog, so sah mein Frühstück aus, und dann hastete ich runter, spät dran zu meiner Verabredung, und lieh mir den Commodore.
Ragobert hätte jedes letzte bisschen von Vertrauen in mich verloren, wenn ich bei ihm mit dem Toyota vorgefahren wäre.
Er hatte sich wieder gefangen. Kein träumerischer Ausdruck mehr in seinem Gesicht, keine private Musikvorführung in seinen Ohren. Edwin Knauff sah drein wie ein Mann, den man an sein Limit gepuscht hat. Er wirkte härter als sonst, kälter als sonst und bis auf die Knochen genervt. Ein falsches Wort von mir, und ich war den Job los, das brachte er ohne große Worte und trotzdem unmissverständlich rüber.
»Zumindest der Ballon ist endlich am Boden«, sagte ich.
Ein großer, bunter, heliumgefüllter Luftballon, ein Ding von unvorstellbarer Harmlosigkeit und Unschuld, und doch war ein hörbares Aufatmen um die ganze Welt gegangen, als unsere Luftwaffe endlich mit stolzgeschwellter Brust seinen Abschuss bekannt geben konnte. Strange days, indeed.
Ragobert seufzte einmal kurz und nahm mich dann mit in den Neubau, wohl um mir zu zeigen, wie viel Geld und Arbeit hier in den letzen Monaten investiert worden waren
Weitere Kostenlose Bücher