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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Fuckers' Place ist, dass Frauen selten lange bleiben. Und mein Verständnis haben sie. Ich meine, sie müssten bekloppt sein, auf Dauer ihre Bedürfnisse hinter denen einer Horde ungehobelter Kerle zurückzustecken. Es muss für sie so ähnlich sein, wie mit einem Fußballer ins Trainingslager zu ziehen: Wenn gesprochen wird, dann meistens nur über die immer gleichen, ermüdenden Themen, zu denen sie als Partnerin wenig beizusteuern hat, und wenn, belächelt oder ignoriert wird, und die einzige Zeit, in der sie ihren Kerl für sich hat, ist er meist nicht mehr in der Lage für zusammenhängende Satzbildung und eh nur noch an einem interessiert.
    In Retrospektive hatten Deliah und ich sehr viel miteinander geschlafen und höchst wenig miteinander gesprochen. Sie war fast vom ersten Augenblick ihres Auftauchens an widerspruchslos in die einzige Rolle geschlüpft, die ihr eine auf sich selbst konzentrierte Männergemeinschaft ließ: hübsch anzuschauendes Paar Titten im Hintergrund. Kristofs Puppe, nur dann einen zweiten Blick wert, wenn man riskieren wollte, von ihm bei nächster Gelegenheit eins mit der Bratpfanne übergezogen zu kriegen.
    Selbst mit dem vergleichsweise umgänglichen Scuzzi hatte sie nur Schach gespielt, Dope geraucht, ferngesehen und ... »Sonst nichts!«, wie er mir versichert hatte.
    Hm. Alles Mögliche also, nur nicht viel geredet.
    Dafür aber umso mehr gehört.
    Sie war, wie mir allmählich immer klarer wurde, die ganze Zeit über ein perfekt mit dem Hintergrund verschmolzenes, hübsch anzuschauendes Paar Ohren gewesen.
    Kein lila Honda in der ganzen Oembergsiedlung, und vor der angegebenen Hausnummer der Kattowitzer Straße parkte ein Renault. Also weiter, nächste Adresse, Altstadt, Mülheim. Mittlerweile war es Nachmittag geworden, und die Zeit drängte, deshalb trat ich ein bisschen aufs Pedal.
    Ich weiß gar nicht, was Heiner Sültenfuß hat, dachte ich, als wir auf der Mendener Brücke kurz an die hundertsechzig drankamen. Die Karre läuft nicht schlecht, dachte ich, wie wir so dem sanften, aber schmalen Geschlängel der Mendener Straße folgten, und sie liegt auch ganz gut auf der Straße, und als dann noch die eng stehenden Fassaden der Dohne das Röhren des Auspuffs zurückwarfen, hatte ich für einen Moment das Grinsen im Gesicht.
    Kein lila Honda in der ganzen verdammten Altstadt.
    Kein Grinsen mehr auf Kristof Kryszinskis Gesicht. Dafür zwanzig Minuten mehr auf seiner Uhr.
    >Ob Willy überhaupt noch lebt?<, fragte ich mich das hundertste Mal, heute alleine.
    Eppinhofener Norden stand als nächstes auf dem Zettel. Ich presste die Carina die Aktienstraße hoch, ich drehte Kreise und Achten um, was sich als eine Ansammlung unansehnlicher Wohnblocks herausstellte, die jemand mit einer Sprühdose >North Bronx< getauft hatte, ich trat das Gas bis zum Anschlag auf meinem Rückweg die Aktienstraße hinunter. Ungefähr auf Höhe der Kreuzstraßeneinmündung, Tachonadel beinahe senkrecht, wurde ich von einer Kawasaki überholt. An der nächsten roten Ampel bremste ich mich neben sie.
    »Habt ihr die Briefe?«, brüllte ich aus dem heruntergekurbelten Fenster, und D.O. drehte mir den Helm zu, durch dessen raureifbeschlagenes Visier er mich aus blutunterlaufenen Schlitzen anstarrte, umgeben von Lidern, so geschwollen, dass sie wie Brandblasen aussahen. Anstelle einer Antwort weckte er seinen Beifahrer mit einem Rippenstoß aus einer Art von Trance. Scuzzi erkannte mich, zog sich mit den Zähnen einen Handschuh von zitternden, wachsweißen Fingern, fummelte umständlich einen dicken Packen Umschläge aus seiner Jackentasche (in dem Schreiben, das ich gefälscht und ihnen mitgegeben hatte, bat ein durch einen Zeitungsartikel bitter um seine Hoffnungen betrogener W. Heckhoff um Rückgabe sämtlicher Korrespondenz), reichte sie mir rüber, und D.O. kickte den Ersten rein, und weg waren sie. Heim. Ins Warme.
    Mit einem Anflug von Gewissen wurde mir klar, auf was für eine frostige Reise ich die beiden da geschickt hatte. So allmählich, dachte ich, scheine ich mir die Sympathien sämtlicher Mitglieder meiner Gang zu verscherzen.
    Da war mir noch nicht bewusst, dass dies erst den Anfang darstellte.
     
    15.1.1985
    Liebe Dagmar,
    wie das Leben so spielt! Eigentlich hatte ich vorgehabt, Ihnen mit diesem Brief eine GROSSE ÜBERRASCHUNG zu offenbaren, da nimmt mein Schicksal eine plötzliche Wende. Wie Sie wahrscheinlich gesehen haben, befinde ich mich seit ein paar Tagen alles andere als in meiner

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