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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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Strategie steckte, um mehr Vertrauen unter den Dörflern zu gewinnen. Außerdem war die Strecke zum einzigen Gasthaus in Odisworth überschaubar.
    Jule begann, trotzdem an den Handflächen zu schwitzen, als sie auf den Knopf am Autoschlüssel drückte, der den Wagen entriegelte. Sie wisperte ihr Mantra gegen die Angst und lächelte glücklich. Gleich nach dem ersten Aufsagen fand sie die Kraft, zum Auto hinüberzugehen. Sie öffnete die Fahrertür und wollte sich beschwingt in den weichen Sitz hineinplumpsen lassen, als sie im letzten Augenblick die Hinterlassenschaft eines kranken Geists bemerkte, die dort bereits auf sie wartete.

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    Die nackte Barbiepuppe hielt die Hände nach vorn gestreckt, als wollte sie Jule in eine innige Umarmung schließen. Was diese unschuldige Geste zunichtemachte, waren die Stecknadeln, die knapp über den Ellbogen durch die Arme gestochen und deren Spitzen tief in die Hüfte der Puppe gebohrt worden waren. Das blonde Haar war auf einer Seite des Kopfes so versengt, dass nur noch gekräuselte Wirbel am Plastik klebten. Und wo sonst die fröhlichen blauen Augen aus dem ebenmäßigen Gesicht strahlten, klafften zwei dunkle Löcher. Unter die Puppe war ein Blatt Papier geschoben. In großen schwarzen Buchstaben war der immer gleiche Satz darauf gedruckt: Verschwinde oder dir geht es wie ihr!
    Eine ungeahnte Regung packte Jule: lodernde Wut. Binnen eines Wimpernschlags stand ihr gesamtes Inneres in hellen Flammen. Sie packte die Puppe am Kopf, machte zwei Schritte vom Wagen weg und schleuderte das schreckliche Ding in hohem Bogen in den Vorgarten der Jepsens. Es landete raschelnd inmitten eines Beets blühender Azaleen. Danach beugte sie sich wieder in den Wagen hinein, nahm den simplen Drohbrief, zerknüllte ihn und warf ihn mit einem unterdrückten Schrei in den Fußraum vor dem Beifahrersitz.
    Jule schlug die Fahrertür zu, ballte die Fäuste und hieb zweimal auf das Wagendach ein. Was für eine gottverdammte Ansammlung kranker Irrer war dieses Dorf eigentlich?
    Sie wusste nicht, wohin mit ihrer Wut und hastete gehetzt davon, die Hauptstraße hinunter. An der nächsten Kreuzung hatte sie sich so weit wieder im Griff, dass sie einen einigermaßen klaren Gedanken fassen konnte. Irgendein Schwein war in ihrem Wagen gewesen! Aber wie war dieser Typ in den BMW hineingekommen? Die Elektronik des Wagens verriegelte nach wenigen Minuten automatisch, wenn man vergessen hatte, abzuschließen.
    Jule blieb stehen und schaute sich um. Alles um sie herum – die Häuser, die Bäume, der Himmel, die Abendsonne – hätte ausgezeichnete Motive für Postkarten geliefert, die ein perfektes ländliches Idyll heraufbeschworen. Und doch lag für Jule nun der Schatten des Wahnsinns über der beschaulichen Szenerie. Hier legten die Leute Fremden verstümmelte Puppen ins Auto. Hier lebte ein Mörder, der Frauen im Wald verscharrte. Die noch warme Glut ihres Zorns erkaltete mit einem Mal. Was, wenn der Mörder ihr die Puppe hatte zukommen lassen?
    Sie verspürte das dringende Bedürfnis, mit jemandem zu sprechen, der nicht aus diesem verfluchten Ort stammte. Jemandem, der sie nicht als Außenseiterin und Störfaktor sah. Jemandem, der sie verstand und dem sie vertraute. Sie zückte ihr Smartphone und wählte die Nummer.

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    »Warum rufst du nicht sofort deinen Kommissar an?« Nach dem fünften Klingeln war Caro endlich rangegangen.
    Jule setzte sich erschöpft auf ein Gartenmäuerchen am Straßenrand. Smolski. Das war ein einleuchtender Vorschlag, aber leider nicht ohne Weiteres umzusetzen. »Ich habe keine Nummer von ihm.«
    »Na hör mal. Er war doch auch in deiner Pension untergebracht, oder? Da wird doch wohl jemand wissen, wie man ihn erreicht.«
    »Stimmt. Ich könnte Eva fragen.«
    »Wer ist Eva?«
    »Die Pensionsbetreiberin.«
    »Siehst du?«, sagte Caro. »Du sitzt direkt an der Quelle. Und du kannst diese Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen. Der Kerl gehört hinter Gitter.«
    Die patente Art, in der Caro der haarsträubenden Situation die Stirn bot, tat Jule gut.
    »Wir haben genug Zeit vergeudet, Schatz«, sagte Caro eindringlich. »Geh jetzt los und besorg dir die Nummer von diesem Smolski. Denk an die Karten.«
    »Was?«
    »Die Liebenden. Wenn er derjenige ist, den die Karten dir versprochen haben, kann er gar nicht anders, als dir zu helfen. Das Schicksal wird ihn dazu zwingen.«
    »Meinst du nicht, dass er mir helfen muss, weil das sein Beruf ist?«, fragte

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