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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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wettergegerbtem Gesicht und schütterem schwarzem Haar. Er lächelte nicht. »Guten Tag.« Er gab uns die Hand. »Ich bin Reynold Carter.«
    »Emma Blaxland-Hunter«, sagte ich. »Und das ist Patrick Taylor.«
    »Sie sind die Ballerina«, sagte er mit ausdrucksloser Miene. »Kommen Sie herein.«
    Patrick und ich wechselten einen Blick, als wir ihm ins Haus folgten. Er führte uns durch eine mit glänzendem Parkett ausgelegte Diele in ein großes, geheiztes Wohnzimmer. Dort saß Mina brav auf dem Sofa, vor sich einen kleinen Koffer.
    »Patrick! Emma!«, sagte sie aufgeregt. Sie blieb unter dem strengen Blick ihres Vaters still sitzen, wenngleich ihre Füße fröhlich zuckten.
    »Ein wunderbares Haus«, sagte Patrick und schaute zum Fenster, durch das man auf den River Derwent blickte.
    Ich bemerkte einen Schreibtisch neben der Tür, auf dem ein Laptop stand. Bei einem Mann wie Reynold Carter hätte ich eher ein schickes Büro vermutet.
    »Nun, Mina kommt ganz gut allein zurecht. Nehmen Sie ihr nicht zu viel ab. Ihre Unabhängigkeit ist mir wichtig. Und ihr selbst natürlich auch.«
    »Ich freue mich einfach darauf, ein bisschen Zeit mit ihr zu verbringen.« Ich strich ihr übers Haar. Sie lächelte mich liebevoll an.
    »Ja. Gut.« Er räusperte sich. »Sie hat noch nie woanders übernachtet, also rufen Sie mich an, falls es Probleme gibt.« Er wandte sich schon ab, seine Augen wanderten zum Bildschirm. »Entschuldigen Sie mich kurz.«
    Patrick griff nach Minas Koffer, während ihr Vater einige Tasten betätigte. Als er zurückkam, sah er uns nicht in die Augen. »Es tut mir leid. Ich handle online mit Aktien. Die US -Märkte sind noch offen. Samstagmorgens ist immer viel zu tun.«
    »Machen Sie das hauptberuflich?«, fragte ich neugierig.
    »Bevor Minas Mutter starb, war ich Börsenmakler«, erklärte er nüchtern. »Eine Zeitlang hatte ich ein Kindermädchen für sie, aber es war doch besser, bei ihr zu Hause zu bleiben.«
    »Daddy arbeitet den ganzen Tag und die ganze Nacht.«
    »Aber ich bin hier, oder?« Es klang, als müsste er sich verteidigen.
    Sie legte die Arme um seine Taille und drückte ihn. »Ich hab dich lieb, Daddy.«
    »Sei brav.« Er küsste sie auf den Kopf und löste sich von ihr. »Rufen Sie an, wenn Sie mich brauchen.«
    Wir halfen Mina, sich auf den Rücksitz zu setzen, wo sie aufgeregt drauflosplapperte. Ihr Vater kam nicht zur Tür, um zum Abschied zu winken, und ich wurde zunehmend wütend auf ihn. Sicher, er bot ihr ein großes Haus, aber was Mina brauchte, war Liebe. Sie war so ein anhängliches, fröhliches Mädchen.
    Dann fiel mir ein, was Patrick gesagt hatte.
Wir wissen nicht, was in anderen Familien vorgeht. Wir sollten nicht einfach urteilen.
    Als wir durch das große Tor in die Einfahrt von Wildflower Hill bogen, wirkte Mina nicht nur aufgeregt, sondern beinahe ängstlich. Ich beschloss, Patrick zu bitten, den Nachmittag bei uns zu bleiben, weil Mina ihn besser kannte. Sie sollte sich erst ein bisschen eingewöhnen. Er wartete unten und spielte auf dem verstimmten Klavier, während ich Mina ihr Zimmer zeigte. Es befand sich neben meinem, Monica hatte es am Tag zuvor hergerichtet. Frische Bettwäsche, Wildblumen in einer Vase auf der Kommode. Mina legte ihren Koffer aufs Bett und setzte sich nachdenklich daneben.
    »Alles in Ordnung?«
    »Das Haus ist dunkel und alt.«
    »Das stimmt. Es ist über hundertfünfzig Jahre alt. Hast du Angst?«
    »Nein. Wo ist dein Schlafzimmer?«
    Ich klopfte an die Wand. »Gleich nebenan.«
    Sie lächelte. »Okay.«
    Unten stimmte Patrick gerade den Blumenwalzer an.
    »Das ist dein Lied, Mina. Lass uns tanzen gehen.«
    Unten im Wohnzimmer war sie glücklicher und weniger besorgt. Sie staunte über meine Tanztrophäen, die ich auf dem Klavier aufgereiht hatte. Ich schob die Couch an die Wand und den Couchtisch unters Fenster, damit wir Platz zum Tanzen hatten.
    Sie hatte einige Bewegungen vergessen, hielt sich aber sehr schön, den Rücken gerade, die Füße nach außen. Als wir das Stück dreimal durchhatten, holten wir den CD -Spieler, und Patrick und ich setzten uns als Zuschauer aufs Sofa, während Mina für uns tanzte.
    Sie war atemberaubend. Als ich sie und die anderen Kinder zum ersten Mal gesehen hatte, waren mir nur die Ähnlichkeiten aufgefallen. Jetzt aber sah ich die junge Frau, die sich in ihrem Körper verbarg: die glänzenden Augen, die reine Haut, das schöne dunkle Haar, die Grübchen in den Ellbogen und die weichen weißen Hände. Wenn

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