Der Wind der Erinnerung
Mina saß bei Lampenlicht im Bett und schaute zum Fenster.
»Mina?«
Sie drehte sich um.
»Er kann nicht kommen. Es ist zu stürmisch.«
Sie nickte.
»Hey, ich weiß, womit ich dich aufmuntern kann.«
Ich öffnete die oberste Schublade der Kommode. Darin lag mein Diadem aus
Schwanensee.
Ich holte es heraus und gab es ihr behutsam.
»Was ist das?« Mina klang schon fröhlicher.
»Etwas Besonderes, du musst ganz vorsichtig damit sein.«
Sie nahm es ehrfürchtig entgegen und betrachtete es.
»Es ist ein besonderes Diadem. Ich habe es getragen, als ich die Odette getanzt habe.«
»Schwanensee«,
hauchte sie.
Ich setzte ihr das Diadem auf und ermutigte sie, sich im Spiegel zu betrachten. Ihre Angst war vergessen, als sie vor der Kommode umherwirbelte, das Diadem im Lichtschein funkelnd.
»Komm zu mir ins Bett. Hier ist genug Platz für uns beide. Wir brauchen keine Angst vor dem Gewitter zu haben.«
»Haben wir nicht«, sagte sie, kam ins Bett und kuschelte sich an mich, das Diadem noch immer auf dem Kopf.
Ich schaltete das Licht aus, und ihre weiche Hand schmiegte sich in meine. »Gute Nacht, Emma.«
»Gute Nacht.«
Ich blieb wach, bis sie eingeschlafen war. Ihre Hand löste sich aus meiner. Das Gewitter zog über uns dahin, doch Mina rührte sich nicht mehr.
[home]
Siebenundzwanzig
I ch erwachte früh. Ich lag verschwitzt und verkrampft im Bett, während Mina friedlich weiterschlief. Das Diadem lag neben ihr auf dem Kopfkissen. Ich hob es behutsam auf und plazierte es auf dem Nachttisch. Das weiche Morgenlicht schimmerte durch die Vorhänge. Ich dachte an meinen Garten und beschloss, aufzustehen und weiterzuarbeiten. Ich zog mir Jeans und ein langärmeliges T-Shirt an und ging nach unten.
Der Himmel war klar, saubergewaschen vom Gewitter. Das Gras und die Steine waren noch feucht. Ich griff nach meinem Eimer mit Werkzeug und stellte ihn neben das alte Rosenbeet. Dann arbeitete ich mich langsam vor, stutzte, jätete und grub. Ich hatte keine Ahnung, ob die Rosen nach einem so heftigen Beschnitt wieder austreiben würden. Ein bisschen traurig war ich schon, als mir klarwurde, dass ich sie niemals blühen sehen würde. Dann würde das Haus jemand anderem gehören.
Ich legte die Pflanzschaufel einen Augenblick beiseite. Jemand anders würde in der Einfahrt parken, jemand anders würde seine Sachen ins Schlafzimmer räumen, jemand anders würde in der großen, widerhallenden Küche kochen.
Ich sagte mir, ich sei nur sentimental, und arbeitete weiter.
Die Sonne stand jetzt höher am Himmel, und ich ging hinein, um nach Mina zu sehen. Sie war angezogen und betrachtete im Wohnzimmer meine Trophäen. Ich machte ihr Frühstück und fragte, ob sie noch etwas tanzen wolle.
»Nein. Ich will im Garten helfen.«
Also gab ich ihr ein Paar robuste Arbeitshandschuhe, und wir traten wieder hinaus ins klare Morgenlicht. Ich wollte sie nicht im Rosenbeet arbeiten lassen, weil ich mir Sorgen wegen der Dornen machte. Also wies ich sie an, die trockenen Zweige des kranken Eukalyptusbaums einzusammeln und neben meinem Unkraut aufzuschichten.
Mina wirkte jetzt viel entspannter als gestern Abend und plauderte fröhlich über die Gartenarbeit, dass sie und ihr Dad ein kleines Gemüsebeet angelegt hätten und ihre eigenen Tomaten zögen. Ich war noch immer wütend, weil ihr Vater sie in der Nacht nicht abgeholt hatte und sich nicht für ihr Tanzen interessierte. Eine einzige Gartengeschichte konnte mich nicht überzeugen.
»Was fängst du denn so mit deiner Zeit an, Mina? Wenn dein Dad am Computer arbeitet, meine ich.«
»Ich arbeite drei Nachmittage in der Woche in einem Supermarkt. Regale einräumen.«
Ich war verblüfft. »Ehrlich?«
»Damit verdiene ich Geld, um Dad ein bisschen zu helfen. Und ich habe eine Freundin, die dreimal morgens kommt und mit mir Sachen lernt. Sie heißt Mrs. Pappas.«
»Für die Schule?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, die Schule ist seit letztem Jahr zu Ende. Mrs. Pappas bringt mir bei, wie ich sicher in den Bus steige und solche Sachen.«
»Du kannst allein Bus fahren?«
»Einmal habe ich das gemacht. Das war lustig. Aber ich hätte beinahe meine Haltestelle vergessen.« Sie warf kichernd einige Zweige auf den Haufen. »Dann ist mir das Schokoladengeschäft eingefallen, und die Haltestelle war genau davor.«
»Ja, Schokolade kann man nur schwer vergessen.«
Sie antwortete nicht. Ich drehte mich um und sah, dass sie zwischen den beiden stacheligen Lomandra-Pflanzen unter dem
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