Der Wind der Erinnerung
gewesen ist und mir diese Arbeit geschickt hat, sollte ich meine Dankbarkeit zeigen, indem ich sie erledige.« Jetzt klang sie zu fromm, um verführt zu werden.
Raphael verstummte, wenngleich sie seinen Zorn spürte, und sie schlüpfte rasch aus dem Zimmer. Ihr Herz klopfte, und sie war froh, dass sie wieder in die Küche zurückkehren konnte und ihn nie wiedersehen musste.
Am folgenden Tag, einem Samstag, kam Mikhail sie nicht um zehn Uhr abholen. Beattie wartete eine halbe Stunde, während Lucy um sie herumsprang und wiederholt fragte, ob sie heute denn nicht zur Arbeit gehe.
»Ich weiß nicht. Eigentlich schon.«
Es war zu kalt, um draußen zu warten, also zog sie Lucy ins Haus. Sie würde ja hören, wenn Mikhail hupte.
Margaret blickte auf, als sie hereinkamen. »Kein Wagen?«
»Kein Wagen.« Ihr Herz klopfte. Bestimmt hatte sie ihre Arbeit verloren. Raphael Blanchard war wütend geworden, weil sie nicht mit ihm am Tisch sitzen wollte. Während sie sich stark und unangreifbar geben wollte, hatte sie auf ihn herablassend und unhöflich gewirkt. Sie ließ sich aufs Sofa fallen.
»Keine Sorge, es ist besser, wenn du nicht mehr dort hingehst.«
Beattie spielte mit dem Gedanken, Alice vom Postamt aus anzurufen, wollte aber kein Geld dafür ausgeben. Sie hatte ein bisschen gespart, das wollte sie nicht antasten. Außerdem hatte sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Vielleicht war Mikhail aufgehalten worden oder hatte Probleme mit dem Auto. Doch es wurde Mittag, und als der Nachmittag kühl wurde und der Sonnenuntergang den Himmel färbte, musste sie sich eingestehen, dass sie tatsächlich ihre Stelle verloren hatte. Sie saß angespannt im Sessel, während Lucy versuchte, sie aufzumuntern. Doch sie hatte nicht einmal ein Lächeln für das Mädchen übrig.
Margaret überlegte gerade, den Kamin anzuzünden, als draußen eine Hupe ertönte. Beattie eilte zur Tür. Da stand der Wagen. Doch es war schon fünf, normalerweise hatte sie um diese Zeit Feierabend. Neugierig ging sie hin und öffnete die Beifahrertür.
»Was ist los?«
»Du kommst«, sagte Mikhail.
»Warum so spät?«
Er schüttelte den Kopf. Entweder wusste er die Antwort nicht oder verstand sie nicht. Sie warf einen Blick zu Margaret und Lucy, die auf der Veranda warteten. »Er sagt, ich muss jetzt arbeiten.«
»Aber es gibt gleich Abendessen, Mummy«, widersprach Lucy.
Margarets Mund war hart. »Pass auf dich auf.«
Beattie rannte zurück und gab Lucy einen Gutenachtkuss, dann wandte sie sich an Margaret. »Danke, dass du dich um sie kümmerst.«
»Und wer kümmert sich um dich?«
»Vielleicht gibt er heute ein großes Abendessen, und sie brauchen zusätzliches Personal.«
»Ich weiß, was abends dort passiert.«
Beattie schluckte. »Was denn?«
»Ich nehme an, du wirst es herausfinden.«
»Ich bleibe in der Küche.«
»Das will ich hoffen.«
Lucy war blass, ihre Augen voller Angst. »Was passiert jetzt, Mummy?«
»Schon gut, Lucy, ich gehe nur zur Arbeit.«
Margaret hob Lucy hoch. »Na komm schon, mein Schatz. Du kannst mir beim Kartoffelstampfen helfen.«
Beattie stieg in den Wagen. »Vielen Dank, Mikhail.«
Er fuhr knurrend los.
Unterwegs malte sich Beattie dekadente Szenen aus, doch dann musste sie über sich selbst lachen. Margarets Vorstellung von Sünde und ihre eigene passten nicht so ganz zusammen. Sie beschloss, erst zu urteilen, nachdem sie mit Alice gesprochen hatte. Im Augenblick war sie dankbar, dass sie überhaupt arbeiten konnte.
Alice holte sie am Auto ab und entschuldigte sich, noch bevor sie die Tür geöffnet hatte. »Tut mir leid, tut mir leid. Mr. Blanchard hat deine Arbeitszeit geändert. Für den Morgen und die Wäsche hat er ein neues Mädchen eingestellt. Du brauchst keine Kleider mehr zu schrubben.« Sie lächelte schwach, während sie Beattie ins Haus führte. »Leider kannst du dich auch nicht mehr in der Küche verstecken.«
Beattie rutschte das Herz in die Hose. »O nein.« Durch die Tür des Wohnzimmers hörte sie gedämpfte Musik und Stimmen.
»Er möchte, dass du vier Abende die Woche von fünf bis Mitternacht arbeitest, und zwar für das gleiche Geld.«
»Ehrlich? Weniger Stunden für den gleichen Lohn?«
Alice nickte. Beattie jubelte innerlich. Natürlich wäre die Abendarbeit anstrengend, aber so hätte sie viel mehr Zeit für Lucy. »Und was muss ich machen?«
»Wir tragen zusammen das Abendessen auf. Von Donnerstag bis Sonntag hat er meistens Übernachtungsgäste. Du bleibst dann,
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