Der Wind der Erinnerung
um mit den Getränken zu helfen. Im Wohnzimmer gibt es eine Bar. Sie … spielen Karten.« Alice sah sie bedeutungsvoll an.
»Glücksspiel?« Also doch nur gewöhnliche Sünder.
»Kannst du damit leben?« Sie hatte Alice ein bisschen über Henry und ihre Abneigung gegen Trinken und Glücksspiel erzählt.
Beinahe hätte sie gelacht. Schon vor fünf Jahren hatte sie bei illegalen Pokerpartys Getränke serviert. »Ich tue mein Bestes.«
* * *
Margaret wartete einen Monat ab, bevor sie ihr Missfallen über Beatties neue Arbeit ausdrückte. Die drei waren auf dem Weg zum Einkaufen. Lucy war vorgelaufen, um über die lange Steinmauer vor dem Haus der Garretts zu balancieren. Es war ein schöner, kalter Morgen, und Beatties Atem bildete eine Wolke vor ihrem Gesicht.
»Wie läuft es denn auf Wildflower Hill?«
»Danke, gut.« Beattie betrachtete Lucy, die einen neuen Wintermantel und neue Schuhe trug. Sie hatte festgestellt, dass Raphael Blanchards Gäste ihr nur zu gern ein paar Shilling zusteckten, wenn sie nett lächelte. Auch fand sie Raphaels hungrigen Blick durchaus erträglich, solange er anständige Kleider für ihr Kind bedeutete. Er hatte nicht mehr direkt mit ihr gesprochen, nur den einen oder anderen Befehl gebrüllt. Und er hatte vor allem nicht versucht, sie zu Vertraulichkeiten zu ermuntern, wofür sie sehr dankbar war.
Margaret räusperte sich.
»Es ist nicht so schlimm, wie du glaubst. Sie trinken ein bisschen und spielen Karten.«
»Und die Frauen?«
»Dort gibt es keine Frauen. Es ist ein Herrenclub.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Gestern Abend hatte Mikhail zwei Mädchen geholt, aber Beattie hatte sie ignoriert.
Erneutes Räuspern. »Was hast du dabei zu tun?«
Lucy sang gerade ein Lied, drehte sich auf dem Absatz um und ging über die Mauer zurück. Die Morgensonne wärmte die Blätter der mit Reif bedeckten Hecken. Mrs. Garrett, die in einer Tweedhose, die Beattie letzte Woche neu gesäumt hatte, im Garten arbeitete, rief ihnen einen Gruß zu.
Beattie senkte die Stimme. »Ich bringe nur Essen und Getränke und mache sauber.«
»In den Kleidern, in denen du dort hingehst?«
Alice hatte Beattie erklärt, sie müsse für den Abenddienst etwas Angemessenes anziehen. Daher hatte Beattie von ihren Ersparnissen Stoff gekauft und zwei hübsche geblümte Kleider mit weich gerafften Ärmeln genäht. »Du solltest sehen, wie sich die Männer kleiden. Mit Stehkragen und Weste. Sie sind viel eleganter als ich.«
Lucy war des Balancierens müde, sprang hinunter und lief ihnen nach. Sie bogen in die Hauptstraße.
»Ich habe gehört, es gibt Arbeit in der Bäckerei«, sagte Margaret. »Lizzie Flower ist schwanger und fühlt sich ständig schlecht. Daher brauchen sie eine Aushilfe für den Laden. Warum gehst du nicht vorbei und fragst? Es ist besser, als wenn du nach Hause kommst und nach Zigaretten und Gin riechst.«
»Ich will aber nicht in der Bäckerei arbeiten. Ich habe eine gute Stelle.«
Ein letztes Räuspern, dann verstummte Margaret. Beattie wusste allerdings, dass sie in Margarets Augen nun auch eine Sünderin war. Wie lange würde es dauern, bis sie sie und ihre Tochter auf die Straße setzte? Alice hatte erwähnt, sie könne während der Schafschur im September im Haus wohnen, weil es dann viel zusätzliche Arbeit gab. Hoffentlich würde Margaret sie bis dahin bei sich behalten. Tränen der Wut brannten in ihren Augen, doch sie drängte sie zurück. Sie weigerte sich zu glauben, dass sie das Falsche tat. Sie kümmerte sich um ihr Kind, so gut es nur ging.
Lucy wachte auf. Etwas hatte sie im Schlaf gepikst. Sie hatte geträumt, konnte sich aber nicht daran erinnern. Sie drehte sich im Bett um, um zu sehen, ob Mummy schon von der Arbeit nach Hause gekommen war, doch sie war allein. Sie streckte sich aus, schloss die Augen und betete im Kopf, wie Margaret es ihr beigebracht hatte. »Hol Mummy bitte von den Sündern weg, hol Mummy bitte von den Sündern weg …«
Wieder ein Piksen. Doch es war nicht echt, es war nur in ihrem Kopf. Sie begriff, dass sie Stimmen gehört hatte, die irgendwie wichtig waren. Sie stieg aus dem Bett und ging zur Tür des Dachbodens, öffnete sie ein Stückchen und horchte.
Margarets Stimme. Sie murmelte leise. Lucy verstand nur Satzfetzen. Bedeutungslose Wörter wie »lange Zeit« und »konnte nicht verstehen«. Dann eine Männerstimme. Daher kam das Piksen. Warum war ein Mann im Haus? Auch er sprach leise, aber sie hörte, wie er den Namen ihrer
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